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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete
Autoren: Agnes Kottmann
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sonst irgendwas machte. So eine Nachbarschaftsfreundschaft eben, in der man versuchte, sich zu mögen. Einmal hatte Robin sich dann doch getraut, ein bisschen um sich zu schlagen, und damit gedroht, unser Kellerversteck auffliegen zu lassen, wenn wir nicht aufhören würden, ihn links liegen zu lassen. Das war der einzige Moment, in dem er seinen Schildkrötenkopf mal ein bisschen weiter nach vorne gestreckt hatte. Damals wusste ich noch nicht, was Schildkröten alles Schlimmes ausbrüten, wenn sie ihren Kopf unter die Haube zurückziehen.
    Dies ist Robins Vermächtnis, seine Beweisführung. Also hat er jetzt am Ende doch gewonnen. Dafür musste er aber den höchsten Preis zahlen, mit seinem Leben. Oder wäre der höchste Preis gewesen, so weiterleben zu müssen wie zuvor? Mit Freunden, Klassenkameraden, Nachbarn und Eltern, die nicht sehen wollten, dass eine Schildkröte ihren Panzer nie ablegt, auch wenn sie sich an einem sicheren Ort befindet. Und dass man sie austricksen muss, damit man ihr unter die Haube schauen und ihr eine tödliche Verletzung beibringen kann, um den Deckel danach wieder zu schließen, als wäre nichts passiert, sodass sie von innen verblutet.

2
    Ich hatte nicht wirklich viel von Robins Telefonat mitbekommen, nur was er ganz zum Schluss sagte: »Tsunami ist kein Mann.« Keine Ahnung, wen er damit meinte. Dann steckte er sein Handy schnell in die Tasche und sah sich kurz um, ob ihn jemand gesehen oder gehört hatte. Als hätte er etwas Verbotenes getan. Mich sah er dabei nicht. Der Schulhof war in der Mittagshitze menschenleer. Robins Jacke leuchtete durch die Äste der Hecke neben den Fahrradständern, hinter die er sich zum Telefonieren zurückgezogen hatte. Robin trug diese Jacke selbst bei solchen Temperaturen wie heute, wenn ein normaler Mensch am liebsten den ganzen Tag in Badeklamotten herumgelaufen wäre. Besonders gut getarnt war er damit in der Hecke ja nicht, aber vielleicht ging es ihm auch eher um das Gegenteil – wie die Bauarbeiter auf der Autobahn. Die wollten ja auch nicht überfahren werden.
    Ich hatte nicht vor, mich anzuschleichen oder ihn zu belauschen. Ich wollte hinter den Büschen auf Mike warten. Hier war’s ein bisschen schattig und ich konnte mich auf den Boden setzen, mit meinen Rucksack als Sitzkissen. Die kleine wild wuchernde Hecke trennte den überdachten Fahrradständer von dem schmalen Trampelpfad, der früher einmal zur alten Sporthalle geführt hatte, die abgerissen worden war.
    Mir war es vollkommen egal, mit wem Robin telefoniert hatte. Im Laufe der knapp zwei Jahre, die er nun schon bei uns im Haus wohnte, war er mir eigentlich ziemlich gleichgültig geworden. Also hoffte auch ich, dass er mich nicht bemerken würde, sodass ich nicht gezwungen war, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Leise ließ ich den Rucksack von der Schulter gleiten und lehnte mich an die Schuppenwand. Da drehte Robin sich noch einmal um, hob den Blick und sah mich an. Er machte ein total erschrockenes Gesicht, als er bemerkte, dass ich nur ein paar Meter von ihm entfernt war. Dann erstarrte er und guckte mich eine Weile an wie ein Toter.
    Daran konnten auch seine dichten blonden Locken nichts ändern, die ihn zusammen mit seinen graublauen Augen vollkommen harmlos aussehen ließen, wie einen zu groß geratenen Fünftklässler.
    In diesem Moment tat mir Robin zum ersten Mal wirklich leid, ohne dass ich sagen konnte, warum. Trotzdem schaffte ich es nicht, einen Schritt auf ihn zuzumachen, ihn zu fragen, was mit ihm los sei. Obwohl ich Mitleid mit ihm hatte, schreckte er mich gleichzeitig ab. Und ich hatte Angst, was er sagen würde, wenn ich ihn fragte.
    »Ich hab nichts gehört«, sagte ich deshalb schnell, um ihn zu beruhigen.
    Er guckte skeptisch. »Ehrlich nicht?«
    Hätte ich doch gesagt, was ich gehört hatte. Vielleicht hätte in diesem Moment nur das gefehlt, um ihn zum Reden zu bringen, und es wäre alles aus ihm herausgesprudelt wie aus einem zu prall gefüllten Ballon?
    »Ich hab nur mit meiner Mutter telefoniert«, sagte er. Aha, er diskutierte also mit seiner Mutter am Telefon über Tsunamis, oder was?
    Er schob sich durch das Gestrüpp zu den Rädern zurück und ich konnte durch die Sträucher hindurch sehen, dass er versuchte, sein Fahrradschloss aufzuschließen, aber den Schlüssel nicht hineinbekam. Immer wieder verfehlte er die Öffnung. Himmel, war der nervös! Als er es schließlich geschafft hatte, winkte er zum Abschied mit der Hand, als ob er davon ausging, dass
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