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Haschisch

Haschisch

Titel: Haschisch
Autoren: Oscar A. H. Schmitz
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dann, von Müdigkeit übermannt, diese Stimmen nicht mehr ertrug, stieg ich in die reine Winternacht empor und unterschied noch in dem ferndumpfen Geheul unter dem harten Schnee Verse aus Hamlet und König Lear. Oft beklagte ich selbst diese Ausschweifungen, die mich halbe Tage verschlafen ließen. Aber immer wieder floh ich zu den Schauspielern, denn wenn der Abend kam, jener feucht-neblige Abend, mit seinen Schauern der Kälte und des Schreckens, dann trat in mein Zimmer das dümmste der Gespenster, dessen Namen wir uns schämen einzugestehen, das es besonders auf die germanischen Rassen abgesehen zu haben scheint: die Sentimentalität.
    Wie oft hatte ich die Nachmittage über einem Buche verbracht, das mich weit von der Wirklichkeit entfernte, aber leise, wenn die Dämmerung kam, fühlte ich, wie sich die feucht-kalten Hände des Gespenstes, die zu liebkosen scheinen möchten, um meine Stirn, über die Augen legten und mich am Weiterlesen hinderten. Ein Wort hatte vielleicht begehrliche Schwächen in mir erweckt, und nun war ich für den Abend der grausamen Macht verfallen. Oder zwischen mein Klavierspiel tönte eine gleichgültige Stimme vom Vorplatz herein, oder ich atmete den Duft des Tees, einer Zigarette, und ich war ein Sklave der nie in ihrer Entsetzlichkeit genannten Gewalt. Man begnügt sich, vor ihr wie über eine süße Torheit zu lächeln.
    Ich aber behaupte, daß uns dieser hinterlistige Feind in den Rausch stößt, wenn wir gern nüchtern blieben, daß er Angst vor uns selbst, vor dem Alleinsein erweckt. Wir wissen, daß er dort auf den Möbeln liegt, Düfte aus gottlob vergessenen Stunden erweckt, alberne Melodien aus dem Flügel lockt und auf den Blumen der Tapeten Gestalten schaukeln läßt, die uns zurufen, und zwar mitleidig, daß wir das Leben versäumt haben.
    Wir halten das nicht aus, wir rennen davon, und alles, was uns der Zufall entgegenwirft, ist uns recht, um über einige Stunden hinwegzukommen. Und dieses unsinnige Wesen daheim tut dann beleidigt, als verletzten wir unser Bestes, und aus Widerspruch gegen dieses altjüngferliche Gespenst Sentimentalität besudeln wir uns nach Kräften.
    Täglich wartete ich auf einen Umschwung in meinem Leben. Ich konnte mir nicht denken, daß diese ernsthaften, vorsichtigen Händlerfamilien ihre musikalischen Bedürfnisse lange Zeit durch ein so zweifelhaftes Wesen, wie ich war, befriedigen würden.
    Eines Morgens unterbrach ein außerordentliches Ereignis diesen Winter. Ich erhielt einen Brief mit dem Poststempel der Stadt. Die Schrift war offenbar verstellt. Unter der üblichen steifen Korrektheit der englischen Kalligraphie beobachtete ich eine auffallende Beweglichkeit der Züge, phantastisch angelegte Majuskeln, die mich überraschten. Ich suchte vergeblich nach einer Unterschrift. Das Schreiben lautete:
    »Zweifellos, mein Herr, sind Sie der bemerkenswerteste Mensch in H., was übrigens nicht viel heißen will. Seit voriger Woche bin ich von einer Reise zurück und beobachte überall, daß sich die Einbildungskraft dieser Stadt fast ausschließlich mit Ihnen befaßt. Ich habe Sie nicht gesehen, aber man sagt mir, daß Sie totenhaft häßlich sind. Ich möchte Sie kennenlernen. Da mich das Äußere eines Menschen – besonders der nicht angelsächsischen Rassen – sehr leicht abschreckt, möchte ich mich mit Ihnen unterhalten, ohne Sie zu sehen. Wie, das lassen Sie meine Sorge sein. Vorläufig schreiben Sie mir nur, ob es Ihnen der Mühe wert scheint, die Bekanntschaft einer Persönlichkeit zu machen, die Ihnen nichts anderes verrät, als daß sie eine Dame ist.«
    »Es scheint mir der Mühe wert«, schrieb ich ohne Zögern, denn selbst ein schlechter Scherz hätte meinem Leben Abwechslung gebracht. Ich brauchte nicht lange nach der Baumhöhle im James Park zu suchen, wo ich meine Antwort niederlegen sollte.
    »Ich halte Sie für klug genug,« so endete der Brief, »den Reiz dieses Abenteuers nicht durch Belauern des Abholers zu stören. Sollten Sie die Geschichte durch eine Unklugheit verderben, so hätte ich eine mißglückte Unterhaltung zu bedauern.«
    Am nächsten Tag erhielt ich folgende Einladung: »Montag nachmittag sechs Uhr erwartet Sie Ecke Pier Road und King Street ein Coupé, das Ihnen der Kutscher auf die Parole Miramare öffnen wird.«
    In der Tat fand ich dort an dem bestimmten Tag in der Dunkelheit des frühen Winterabends unter einem Gasarm ein Coupé. Der Kutscher starrte, einer ägyptischen Basaltgottheit ähnlich, regungslos
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