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Harper Connelly 04 - Grabeshauch

Harper Connelly 04 - Grabeshauch

Titel: Harper Connelly 04 - Grabeshauch
Autoren: Charlaine Harris
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Öffentlichkeit gelangt, woraufhin
     man uns unsere kleinen Schwestern weggenommen hatte. Tolliver war zu seinem Bruder Mark gezogen, und ich war in eine Pflegefamilie
     gekommen.
    Die beiden kleinen Mädchen konnten sich nicht mal mehr an Cameron erinnern. Ich hatte sie beim letzten Besuch danach gefragt.
     Die Mädchen lebten bei Tante Iona und Onkel Hank, die uns ungern besuchen. Aber wir besuchen sie. Mariella und Grace, genannt
     Gracie, sind unsere Schwestern, und sie sollen wissen, dass wir auch ihre Familie sind.
    Ich stützte mich auf, um Tolliver beim Abtrocknen zuzusehen. Er hatte die Badezimmertür beim Duschen aufgelassen, denn sonst
     beschlug der Spiegel so sehr, dass er sich nicht mehr rasieren konnte.
    Wir sehen uns ähnlich. Wir sind beide dünn und dunkelhaarig. Unser Haar ist sogar etwa gleich lang. Seine Augen sind braun,
     meine dunkelgrau. Aber Tollivers Haut ist voller Aknenarben, weil ihn sein Vater nicht zum Dermatologen schicken wollte. Sein
     Gesicht ist schmaler, und er trägt oft einen Schnurrbart. Er hasst es, etwas anderes als Jeans und Hemden anzuziehen, während
     ich mich gern ein bisschen hübsch mache. Schließlich besitze ich die »Gabe«, und da erwartet man das mehr oder weniger von
     mir. Tolliver ist mein Manager, mein Berater, mein Halt und seit einigen Wochen auch mein Liebhaber.
    Er drehte sich zu mir um und merkte, dass ich ihm zusah. Er lächelte und ließ das Handtuch sinken.
    »Komm her!«, sagte ich.
    Er gehorchte sofort.
     
    »Wollen wir eine Runde laufen?«, fragte ich am Nachmittag. »Danach kannst du gemeinsam mit mir duschen. Damit wir nicht so
     viel Wasser verschwenden.«
    Im Nu hatten wir unsere Laufklamotten an und rannten nach ein paar Dehnübungen los. Tolliver ist schneller als ich. Meist
     läuft er auf den letzten achthundert Metern voraus, so auch dieses Mal.
    Wir waren froh, einen guten Platz zum Laufen gefunden zu haben. Unser Motel lag direkt am Autobahnzubringer. In der näheren
     Umgebung gab es weitere Hotels, Motels, Restaurants und Tankstellen – die übliche Ansammlung von Dienstleistungsunternehmen
     für Leute, die viel unterwegs sind. Aber hinter dem Motel entdeckten wir eines dieser »Gewerbegebiete«: zwei gewundene Sträßchen
     mit sorgsam angelegten, noch niedrigen Bepflanzungen vor einstöckigen Gebäuden mit dazugehörigem Parkplatz. Zwischen den beiden
     Straßen gab es einen Grünstreifen, der breit genug war,um ein paar Kreppmyrten zu beherbergen. Es gab auch Bürgersteige, um das Gebiet einladender und freundlicher wirken zu lassen.
     Da es bereits später Freitagnachmittag war, herrschte nur wenig Verkehr zwischen den Betonkästen, die in gesichtslose Einheiten
     namens Great Systems Inc. und Genesis Distributors aufgeteilt waren. Firmen, hinter denen sich alles Mögliche verbergen konnte.
     Jeder Block wurde von einer Zufahrt begrenzt, von einer schmalen Straße, die höchstwahrscheinlich zu den Mitarbeiterparkplätzen
     führte. Davor standen so gut wie keine Autos, die Kunden waren weg, und die letzten Angestellten gingen ins Wochenende.
    An so einem Ort erwartete ich wahrhaftig keine Leiche. Ich dachte an den Schmerz in meinem rechten Bein, der von Zeit zu Zeit
     wieder aufflammt, seit mich der Blitz getroffen hat. Deshalb hörte ich erst nicht, wie ihre Gebeine nach mir riefen.
    Tote gibt es selbstverständlich überall. Ich höre nicht nur die modernen Toten. Ich nehme auch die längst Verstorbenen wahr,
     und selten, sehr selten, sogar das schwache Echo einer Spur, die Menschen vor Erfindung der Schrift hinterlassen haben. Aber
     der Kerl, mit dem ich hier in einem Vorort von Dallas Kontakt aufnahm, war noch ganz frisch. Ich lief einen Moment auf der
     Stelle.
    Ich konnte mir nicht hundertprozentig sicher sein, bevor ich mich der Leiche näherte. Aber ich hatte so das Gefühl, dass es
     sich um einen Selbstmord durch Erschießen handelte. Ich ortete den Mann – er befand sich in den hinteren Räumen einer Firma
     namens Designated Engineering. Ich schüttelte seine innere Not von mir ab. Ich habe schließlich Übung darin. Ob ich ihn bemitleidete?
     Er hatte die Wahl gehabt. Wenn ich jeden bemitleiden würde, der über den Jordan gegangen ist, müsste ich wahrscheinlich andauernd
     heulen.
    Nein, ich verschwende meine Zeit nicht an irgendwelcheGefühle. Ich überlegte, was ich tun sollte. Ich konnte ihn einfach liegen lassen und hatte das zunächst auch vor. Der Erste,
     der am nächsten Tag ins Büro von Designated
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