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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold
Autoren: Einzlkind
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schaut er sich den Saab mit fachmännischem Blick an, ohne etwas zu berühren, geschweige denn die Motorhaube aufzumachen, so, als wolle er metaphysisch in das Innere des Saabs eindringen, um das Ungemach an seinen Wurzeln zu packen, als sei er ein transzendentaler Autoflüsterer, ein Medium, das im Verborgenen noch den tiefsten Schmerz zu finden vermag. Auf jeden Fall aber ein Profi.
    »Ist das ein japanisches Auto?«
    Melvin ist schockiert. »Nein, schwedisch.«
    »Von den Wikingern?«
    »Schwedisch!«
    »Aha.« Der Profi reibt sich den Bart und dringt erneut ganz tief in den Saab hinein. »Ich tippe auf Getriebeschaden.«
    Melvin wird misstrauisch. Er schiebt die Brille ein Stück die Nase hinauf und betrachtet die makellosen wie auch schwielenfreien Hände des fragwürdigen Mechanikers. »Eine kühne These, aber vielleicht wäre es ratsam, zunächst die Zündkerzen auf ein etwaiges Fehlverhalten hin zu überprüfen.«
    »Hm. Gebt mir eine Stunde.«
    »Eine Stunde?«
    »Ja, ich denke, wir müssen ganz von vorne anfangen, um die Fehlerkette en detail zu analysieren. Ich werde mit dem Kühlwasser beginnen.«
    Melvin wird sehr misstrauisch. »Was haben Sie gelernt?«
    »Ich habe studiert.«
    »Sozialpädagogik?«
    »Nein, Wirtschaft. Bis vor einem halben Jahr war ich noch Börsenmakler in Dublin. Aber dann hatte ich genug von der Niedertracht des Kapitalismus und mir gedacht, warum machst du nicht mal etwas völlig Verrücktes.«
    »Irre. Und was befähigt Sie dazu, ein Automobil zu reparieren?«
    »Ich habe entsprechende Fachliteratur gelesen.«
    »Verstehe. Und wie viele Autos haben Sie bisher repariert?«
    »Über den Daumen gepeilt können wir von einer Premiere sprechen.«
    Melvin wägt die Alternativen ab. Auch seine Kenntnisse über einen Verbrennungsmotor sind nur rein theoretischer Natur. Von Harold ist noch weit weniger zu erwarten. Sie könnten versuchen, bis nach Limerick zu kommen, und hoffen, dort auf einen kompetenten Waldschrat zu treffen, der schon als Baby mit Motoröl gestillt wurde. Aber wie wahrscheinlich ist das? Außerdem knurrt ihm der Magen, sie haben seit der libanesischen Völlerei nichts mehr zu sich genommen.
    »Nun gut, eine Stunde. Gibt es ein Café in der Nähe, in dem es sich angemessen frühstücken lässt?«
    »Aber ja. Meine Frau betreibt ein kleines französisches Café, das La baguette , keine 500 Meter von hier.«
    Melvin betrachtet den schwarzen Punkt in der Ferne. Es sind mindestens zwei Meilen Fußmarsch. Bergauf. Kaum vorstellbar, dass ein französisches Café in dieser Gegend auf Begeisterung stößt, wo doch die ganze Landschaft nach Stampfkartoffeln schreit. Sei es drum, einen heißen Tee wird man ja wohl zubereiten können.
    »Hätten Sie zufällig zwei Regenschirme?«
    Verständnisloses Stirnrunzeln. »Wir sind hier in Irland.«
    43
    Melvin ist außer Puste, Harold hat Atemnot und Herzrhythmusstörungen. Der Weg war noch weit beschwerlicher als angenommen. Außerdem hat der irische Regen sie trotz der blauen Abdeckplane bis auf die Knochen getauft und es steht außer Frage, dass sie monatelang an einer Lungenentzündung laborieren werden. Aber es hat sich gelohnt. Das Café ist äußerst klein, es gibt nur zwei Tische mit je vier Stühlen. Beide Tische sind einzeln belegt. Das Mobiliar ist hölzern, fast antik, aber in tadellosem Zustand. An den Wänden hängen Fotos verliebter Paare auf den Champs-Élysées, im Hintergrund knistert Edith Piaf, und ein Holzofen verteilt den Duft von Äpfeln, Zimt und Bergamotte. Eine junge Frau kommt ihnen entgegen, von feenhafter Gestalt und mit dem bezauberndsten Lächeln, das Melvin jemals gesehen hat.
    »Herzlich willkommen, ich bin Gwyneth. Darf ich euch zu Einar setzen?«
    Melvin ist ganz seltsam zumute und lenkt seinen Blick schweren Herzens auf Einar. Einar muss auf Zeitreise sein und sich verlaufen haben. Ein nordischer Krieger aus dem 9. Jahrhundert, der irgendwie deplatziert wirkt. Er ist von kräftiger, aber nicht dicker Statur, die langen, rotblonden Haare sind zu einem Zopf geflochten, und der zauselige Bart fängt kurz unter den Augen an und endet auf Bauchnabelhöhe. Die Augen sind grün und sie starren ins Nichts. Einar ist auf den ersten Blick ein eher introvertierter Zeitgenosse, der keinerlei Signale sendet, die auf ein Faible für mutwillige Geschwätzigkeit schließen lassen. Er bewegt sich mit dem Tempo einer Statue, vielleicht aber auch etwas langsamer. Melvin setzt sich. Harold zögert noch einen Augenblick, er
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