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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold
Autoren: Einzlkind
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Abenteuern keine Befriedigung zu finden. Darüber hatte Harold allerdings nie nachgedacht, über Abenteuer und über Toiletten im Allgemeinen. Wenn Harold könnte, würde er es abschaffen, das Denken, er würde nur noch da sein, weder Schicksal noch Zufall und ganz gleich, ob am Ende Primeln oder Stiefmütterchen verwelken. Harold hat nie verstanden, warum so viel Wert auf goldene Griffe und eine bordeauxrote Lackierung gelegt wird, ansonsten ist die Kiste ja aus Holz.
    2
    »Harold, was ist der Sinn Ihres Lebens?«
    Mr. Hopkins ist ein Mann von kleinem Wuchs und großem Appetit, der sein Resthaar linksscheitelnd kämmt. Hinter seinem massiven Schreibtisch aus seltenen Wäldern wirkt er immer ein wenig verloren, aber von der Belegschaft ist noch niemand auf die Idee gekommen, dies als Schwäche zu interpretieren. In seinen wässrig blauen Augen liegt Erwartung, die Brauen sind unnatürlich zueinander gezogen und wecken beim Betrachter, also Harold, Instinkte der Unterwerfung.
    »Das Leben, Harold, das Leben hält viele Überraschungen parat. Oft sind es die kleinen und großen Veränderungen, die das Leben erst in die richtigen Bahnen lenkt. Manchmal versteht man nicht sogleich, welche Chancen sich daraus ergeben, dass sich Türen schließen, andere aber dafür öffnen.«
    Harold versucht sich zu konzentrieren, den Worten und was sie bedeuten zu folgen. Eine Frau, vielleicht um die vierzig, und ein junges Mädchen blicken Harold von dem Sideboard hinter Mr. Hopkins’ Schreibtisch aus an. Sie sind in Messing gerahmt, sie sind weder hübsch noch hässlich, sie haben sich zurechtgemacht für das Foto, sie versuchen zu lächeln, aber wahrscheinlich war es noch zu früh am Morgen oder die Milch war um.
    »Gestern erst hat meine Frau zu mir gesagt, Harry Hopkins, hat sie gesagt, du musst dir endlich eine neue Frisur zulegen.«
    Eine Taube nistet auf dem Fenstersims, ihr Gurren ist durch die doppeltverglasten Scheiben zu hören, sie putzt sich die Flügel, blickt für einen Moment neugierig in das Büro, doch ein dumpfes Donnergrollen lenkt ihre Konzentration wieder in die Ferne. Mr. Hopkins nestelt am Knoten seiner Krawatte, er blättert in seinen Unterlagen, er sucht etwas, er hat es gefunden, er blickt wieder auf, der Regen setzt ein und schwere Tropfen platschen gegen die Scheiben.
    »Um mal auf den Punkt zu kommen, mein lieber Harold: Sie sind gestern von Kopf bis Fuß mit Rinderblut versehen wieder an Ihre Theke gegangen und wollten weiter bedienen. Ich gehe zwar davon aus, dass Sie sich nicht selbst mit einem Eimer Rinderblut überschüttet haben, doch Sie hätten in diesem Zustand unter keinen Umständen weiter bedienen dürfen. Sie hätten sich erst reinigen müssen!«
    Dafür hatte Harold aber keine Zeit. Die Pause war schon vorbei. Und die Pausenzeiten dürfen nicht überzogen werden, da gibt es eindeutige Vorschriften, das ist überall nachzulesen, in der Kantine, am schwarzen Brett, im Personalbüro und in den Umkleideräumen.
    »Ich habe heute den Anruf einer Mutter entgegennehmen müssen.«
    Oh.
    »Sie lässt eine Klageschrift vorbereiten.«
    Oh.
    »Ihre beiden Kinder, sieben und neun Jahre alt, haben alles mit ansehen müssen.«
    Oh.
    »Sie müssen in psychiatrische Behandlung.«
    Oh.
    »Sie war, um es höflich zu formulieren, sehr, sehr aufgebracht.«
    Harold ist unsicher, ob es wohl die beiden ungefähr sieben und neun Jahre alten Kinder waren, die »Wow, Jason« schrien und ein Autogramm wollten. Da Harold nicht Jason ist und auch nicht weiß, wer Jason ist, hat er ihnen eine Scheibe Wurst gegeben, jedem eine. Das ist nicht nur erlaubt, das ist explizit erwünscht, das ist Firmenphilosophie.
    »Harold, solche Vorfälle sind untragbar für unser Haus. Unsere Kunden zählen zur High Society und unsere Feinkostabteilung zählt zu den exquisitesten der ganzen Stadt. Wir haben einen Ruf zu verlieren, und Sie haben den Bogen zum wiederholten Male eindeutig überspannt.«
    Mr. Hopkins lässt den Satz einfach so stehen. Harold weiß nicht recht, was er ihm damit sagen möchte, aber es klingt nicht unbedingt nach einer Gehaltserhöhung. Auch der Hinweis auf den Bogen, der überspannt sein soll, stellt Harold vor ein Rätsel. Zweimal war er in diesem Monat zu spät, das eine Mal ist der 23er ausgefallen, das andere Mal auch. Die vergorene Fischsuppe, die vor zwei Wochen über seine Theke ausgekippt wurde, war ein Fremdanschlag, die Täterin ist bis zum heutigen Tag unbekannt, auch wenn Harold eine ungenaue Ahnung
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