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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold
Autoren: Einzlkind
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Platz hart erkämpft haben und den Emporkömmlingen nur Verachtung schenken. Tiefste.
    An einen Sitzplatz ist nicht zu denken, es sei denn in einer fiebrigen Wahnvorstellung, die Luft ist dick wie Butter und die Nässe stärkt den Dunst der Geschlechter. Als der Bus wieder Fahrt aufnimmt, werden die Körper umhergeschubst, und feuchter Schweiß mischt sich durch die Reihen der Haltlosen, die nunmehr auch die entfernteste Erinnerung an Freundlichkeit aus ihrem Leben löschen. »Jetzt wäre ich gerne Selbstmordattentäter«, murmelt eine junge Frau, die in einer flanellgrauen Trainingsjacke und mit einer roten Pudelmütze bekleidet neben Harold steht, aber eine Bombe hat sie gerade nicht dabei, nicht einmal ein Küchenmesser, dafür aber trägt sie einen Ring in der Nase.
    Nächster Halt Pembridge Road.
    Die Stimmung wird mit jeder Kurve angespannter, niemand unterhält sich, Wörter haben einfach keinen Platz in dem fahrenden Blech voller Menschen, deren Hautfarbe das Grau des Wetters angenommen hat. Das Aus- und Einsteigen wird zur Kriegserklärung, ein Minenfeld der Gefühle, ein falscher Schritt und es ist aus. Harold versucht, niemanden direkt anzublicken, die Gesichter nur kurz streifen, keine Aufmerksamkeit erregen, die kleinen Dinge wahrnehmen, sich festhalten. Vanessa liegt halbnackt auf dem Schoß eines älteren Herrn und preist ihre Vorzüge mit dem Untertitel: »Jetzt wird zurückgeschossen«. Als der ältere Herr bemerkt, dass die junge Selbstmordattentäterin ihn mit kalten Blicken durchbohrt, dreht er den Daily Mirror um: »16-Jähriger läuft Amok in überfüllter Schulkantine«.
    Harold versucht, auf seine Schuhe zu starren, keine drei Jahre alt, braunes Wildleder, an den vorstehenden Nähten schon ein wenig mitgenommen, sonst aber sehr schön.
    Nächster Halt Chepstow Road.
    Im hinteren Teil schreit ein Säugling neue Zähne herbei und hat Glück, dass die Kindstötung gesetzlich verboten ist. »Warum eigentlich?«, fragt ein grüner Aufkleber neben dem Notschlaghammer. Häuserblöcke fliegen im dichten Regen vorbei, ein unscharfes Foto als Erinnerung, es bleibt nichts, nur alles in Bewegung, und immer diese Veränderungen.
    Der Morgen hatte noch recht angenehm begonnen, kein Ausrutschen der Rasierklinge, der Kaffee in einem exzellenten Verhältnis zwischen Wasser und Bohnen, und der Rottweiler von Mr. Rooney lag mit einer Magenkolik danieder. Harold war ein Springbrunnen der guten Laune und beinahe hätte er sogar gelächelt.
    »Haben Sie ein Problem mit Drogen?«, fragt ein gelber Aufkleber mit schwarzer Schrift und einer Telefonnummer am rechten unteren Rand. Eigentlich nicht.
    Nächster Halt Westbourne Park.
    Aussteigen. Aussteigen? Theoretisch ist es unmöglich, dass der Bus in den letzten zehn Minuten voller geworden ist, praktisch schon. Noch zweihundert Meter. Harold blickt nach links und rechts, er steht genau in der Mitte von zwei Türen, es gibt keinen langen oder kurzen Weg, es gibt gar keinen Weg. Noch hundert Meter. Jede weitere Station bedeutet einen zusätzlichen Fußmarsch von zehn Minuten, und was, wenn es erst an der Endstation einen Ausweg gibt? Noch fünfzig Meter. Es gibt kein Leben nach dem Tod, und wenn doch, hätte Harold gerne Flügel. Der Bus hält und die Türen gehen auf. In dem Moment setzt sich ein Mann mit dem Bauchumfang einer Waschmaschine keine zwei Meter von Harold entfernt in Bewegung und schlägt wie ein russisches Rollkommando eine Schneise in die Menge. Harold klemmt sich geistesgegenwärtig in seinen Schatten und ist überrascht, als er plötzlich auf der Straße steht und wieder atmen kann. Der Regen empfängt Harold wie einen alten Freund, voller Zuneigung und etwas unbeholfen im Überschwang der Gefühle. Harold spannt die Reste seines Schirmes auf, in fünf Minuten ist er zuhause, und wenn er Glück hat, steht das Dach noch auf dem kleinen Gebäude an der Golborne Road. Aber sicher kann man da ja nie sein.
    4
    Ein Galgenknoten ist weit weniger schwer zu knüpfen, als er aussieht. Amateure begehen schon bei der Wahl des Strickes die ersten Fehler. Ein zu dünner Strick schneidet sich viel zu schnell in die Haut ein, ein zu dicker Strick sieht nicht schön aus. Harold ist Profi, und seine Strickware ist stets von bester Qualität, er kauft sie ausschließlich in McCormicks Kleinwarenladen, schottische Wertarbeit, die im Königreich ihresgleichen sucht, und das vergebens. Er hat sich nur flugs umgezogen, da Pfützen im Treppenhaus nicht gerne gesehen werden.
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