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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold
Autoren: Einzlkind
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zeigen, wie sie Kaffee trinkt. Auf dem größten Foto aus den Sechzigern, links über dem Telefontisch, trägt sie Lockenwickler und sieht ein wenig aus wie Grace Kelly, zumindest hat ihr ein längst verblichener Verehrer dies in einem romantischen Moment ins Ohr geflüstert, und seitdem ist das Foto auch mit einem dezenten Oberlicht Tag und Nacht beleuchtet.
    Der letzte Schritt in die Schaltstelle des Vergnügens fällt Harold wie immer schwer, es ist, als hätten ihm italienische Männer mit dunklen Sonnenbrillen und groben Händen Beton um die Füße gegossen. In der Mitte des burgunderroten Wohnzimmers steht ein runder Tisch mit vier Stühlen, von denen einer noch frei ist. Auf den anderen sitzen die drei Damen im späten Alter, friedlich, wie es trügerisch den Anschein erweckt, als wäre es ein nettes Beisammensein. Ein elektrischer Kronleuchter bündelt ein gleißendes Licht über dem Spieltisch, der Heißgetränke und Selbstgebackenes auf feiner Häkelware darbietet. Die Karten sind schon ausgeteilt. Harold setzt sich auf den noch freien Stuhl, ein kaum erkennbares Nicken von Mrs. Cardigan, sie ist in einem Gespräch mit Mrs. Davenport verwickelt.
    »Ich züchte jetzt meine eigenen Mini-Gurken.«
    »Ich dachte, Mini-Paprika.«
    »Das habe ich aufgegeben.«
    »Warum?«
    »Man kann nicht beides gleichzeitig tun, man muss sich entscheiden. Entweder Mini-Gurken oder Mini-Paprika. Als Züchterin hat man eine gewisse Verantwortung.«
    »Gegenüber wem?«
    »Der Zucht.«
    »Gibt es da einen speziellen Paragrafen?«
    »Den braucht es nicht. Ehrenkodex.«
    »Da lastet ja eine ungeheure Verantwortung auf dir.«
    »Man wird dafür entlohnt.«
    »Schmecken bestimmt vorzüglich.«
    »Ich würde von einer Delikatesse sprechen. Harold, Kreuz acht.«
    »Ein Trauerspiel«, mischt sich Mrs. Merrythought kurzzeitig ein. Mrs. Merrythought ist die Älteste im Spielbetrieb, eine Frau der ersten Stunde, der man offen zutraut, als nächste davonzusterben. Die Wetten diesbezüglich stehen zwölf zu eins, bei Lenny Ferguson sogar vierzehn zu eins, aber da gibt es manchmal Probleme mit der Auszahlung.
    »Harold, haben Sie schon die neuen Mieter kennengelernt?«, fragt Mrs. Cardigan und nestelt an der vergoldeten Brosche an ihrer Bluse, eine Brosche, die einen Schmetterling darstellen soll und die ein Erbstück ihrer deutschstämmigen Mutter ist, aus den 30er-Jahren im letzten Jahrtausend, echte Handarbeit und ohne Hakenkreuz.
    »Ihr habt neue Mieter?«, fragt Mrs. Davenport.
    »Ein Junge und eine Frau. Alleinerziehend, Vater unbekannt. Sie arbeitet in der Werbung, dunkles langes Haar, reine Haut, angenehme Blässe, insgesamt eine gepflegte Erscheinung.«
    »Konfektion?«
    »Sechsunddreißig.«
    »Und der Junge?«
    »Redet wirr. Harold, Pik neun.«
    »Ein Trauerspiel«, mischt sich Mrs. Merrythought kurzzeitig ein. Mrs. Cardigan betrachtet die kleinen bernsteinfarbenen Klümpchen auf ihrem Löffel. Sie hält sie ins Licht, riecht vorsichtig daran und lehnt sich steif zurück.
    »Meine Liebe, der Kandis ist aber nicht von Winterbottom.«
    »Hat sie einen Freund?«
    »Bisher ist mir dieser Umstand nicht bekannt. Gleichwohl sie eine erotische Ausstrahlung hat.«
    »Netzstrümpfe?«
    »Auch.«
    »Lippenstift?«
    »Bergamo Rot.«
    »Wie alt ist der Junge?«
    »Ich habe noch nie einen Elfjährigen gesehen, der so sehr aussieht wie acht.«
    »Kann er sprechen?«
    »Er behauptet, ein Genie zu sein.«
    »Das hat mein Mann auch immer behauptet.«
    »Der Klempner?«
    »Der Geschäftsführer des landesweit größten Unternehmens für Heizungszubehör.«
    »Ein Genie?«
    »Hat er behauptet.«
    »Warum?«
    »Er hat gemalt.«
    »Womit?«
    »Wasserfarbe.«
    »Bilder?«
    »Es gab eine Ausstellung in der Kantine. Die Mitarbeiter waren begeistert.«
    »Großartig. Hast du Denise Richardson letzte Woche gesehen?
    »Mit ihrer neuen Frisur?«
    »Friseure sind schlimmer als Terroristen.«
    »Mein Enkel ist jetzt auch Terrorist.«
    »Ach ja?«
    »Ja, er spielt in einer Musikkapelle.«
    »Und was spielen sie so?«
    »Ich glaube, sie nennen es Punkrock.«
    »Punkrock? Die mit den Sicherheitsnadeln in den Ohren?«
    »Nein, das war früher.«
    »Und heute?«
    »Sind die Sicherheitsnadeln im Genitalbereich.«
    »Na, wunderbar.«
    »Nicht? Harold, Kreuz Bube.«
    »Ein Trauerspiel«, mischt sich Mrs. Merrythought kurzzeitig ein.
    »Harold, können Sie mir morgen vier Wachteln zurücklegen?«, fragt Mrs. Cardigan.
    »Er ist entlassen«, antwortet Mrs. Davenport. »Ich
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