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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold
Autoren: Einzlkind
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nicht gemütlich. Und sie ist klein, sehr klein. So also müssen sich Sardinen fühlen. Tierquälerei. Schon wieder auf See, als wäre nicht alles schon traumatisch genug. Wenigstens ein Bullauge hat die Kajüte. Viel zu sehen ist allerdings nicht, die Nacht ist schwarz, tiefschwarz. So, als würde sie nie wieder gehen wollen, als habe das Licht endgültig keine Lust mehr auf das Leben. Ist ja doch jeden Morgen, wenn auch ein anderes, das gleiche. Es sei denn, man glaubt der Werbung für das Knusper-Müsli, aber da ist die Verpackung nicht so schön.
    Sieben Stunden wird die Überfahrt dauern, Harold wird kein Auge zumachen können bei den sich bietenden Möglichkeiten. A) Eisberg, b) Tsunami, c) Torpedo. Und auf alle Szenarien folgen Haie, zu Hunderten, hungrig und pietätlos, unbedarft in Schuld und Sühne, charakterschwach bis in den Knorpel. Melvin schläft schon, nahezu naiv, wie er die Augen vor den Gefahren verschließt. Aber er ist noch jung, da sind noch nicht alle Sinne geschärft. Er sieht beinahe unschuldig aus, in seiner embryonalen Schlafhaltung, mit den verwuselten Haaren und den kleinen, zu Fäusten geballten Händen. Harold fragt sich, wo das Kratzbürstige herkommt, warum Melvin seine Mitmenschen bisweilen wie eine Krankheit behandelt, gegen die es nur einen Impfstoff gibt: Verachtung. Würde Gleichgültigkeit nicht völlig reichen? Muss man sie gleich schelten, die armen Wesen? So wie den netten Steward, der Melvin nur gefragt hatte, ob er ins Spieleparadies wolle, woraufhin Melvin antwortete, dass er nicht vorhabe, in bunten Plastikkugeln zu baden und glucksende Juchhus zu intonieren, es sei denn, dass er als zahlender Gast verpflichtet wäre, das pädophile Grundbedürfnis der Besatzung zu befriedigen, dann wäre er selbstverständlich gerne zu Diensten und selbst schuld, wenn er das Kleingedruckte überlesen habe. Harold findet, dass ein einfaches Nein eine Alternative gewesen wäre.
    Wenn Harold könnte, würde er Melvin einen Vater zaubern. Das wäre für sie beide das Beste. Aber er kann nicht zaubern. Konnte er noch nie. Und vielmehr stellt sich doch die Frage, was er überhaupt kann. Ein paar Dinge gibt es da schon, nichts Weltbewegendes, sicher, aber doch genug, um eine kleine Liste zu erstellen: Er kann in aller Stille auf einer Parkbank sitzen, bis die Vögel ihn vergessen haben. Er kann einundvierzig Luftballons aufpusten, bevor er in Ohnmacht fällt. Er kann länger aus seinem Küchenfenster schauen, als es Tageszeiten gibt. Er kann drei Liter Tee trinken, ohne auf Toilette zu müssen. Er kann für Mrs. Cardigan sorgen, wenn sie eine Erkältung hat. Er kann stundenlang in Maisfeldern wandern, ohne jemandem zu begegnen. Er kann sich über Geschenke freuen, wenn es sein muss. Er kann über vier Minuten auf einem Bein stehen ohne umzufallen. Er kann sich vorstellen, nicht immer so spontan zu sein. Er kann von außerirdischen Nacktschnecken träumen, die vom Himmel fallen.
    Er kann schlafen.
    Kann er nicht.
    Kann er wohl.
    Kann er nicht.
    Kann er wohl.
    Kann er nicht.
    Kann er wohl!

Donnerstag
    41
    Harold ist das erste Mal in seinem Leben in Irland. Komischerweise regnet es. Seit Sonnenaufgang, der kaum der Rede wert war. Den Schafen ist es egal, sie kennen es ja nicht anders. Harold weiß nicht, wie viele Herden sie schon gesehen haben, zu viele jedoch, um jemals wieder Probleme beim Einschlafen zu haben. Seit über drei Stunden sind sie jetzt schon wieder unterwegs, seit sie von der Fähre aus in Richtung Dingle gestartet sind, die eine und andere falsche Abzweigung genommen haben, einen kleinen Umweg die Küste entlang machten und mittlerweile wieder im Landesinneren kurz vor Limerick sind. Dünne Nebelschleier trüben die Sichtweite, der Himmel strahlt in sattem Grau und die Scheibenwischer quietschen missgelaunt das anhängliche Nass beiseite. Und doch ist Harold fasziniert von der pittoresken Einfalt der irischen Landschaft, von den Hügeln und Buchten, den Seen und Steilklippen, den Landhäusern, Schlössern und Klosterruinen, den steindurchsetzten Weiden und den megalithischen Friedhöfen. Das schmatzend saftige Grün hat Nuancen, die er nie zuvor gesehen hat, noch nicht einmal bei Harrods , auch nicht in der Teeabteilung. Ein lebendes Denkmal der fabulösen Mutter Natur. Hier müssen einst Elfen geboren sein, und auch Harold könnte sich sehr gut vorstellen, in diesem entzückenden Land seinen Lebensabend zu verbringen, nicht allzu nah am Meer, in einem dieser kleinen knusprigen
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