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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Autoren: Thomas Harris
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packenden Männern etwas zu essen. Das Pferd drehte ein Auge in seine Richtung und folgte dem Geräusch seiner Schritte mit einem kreisenden Ohr. Als Cesar noch ein Fohlen war, hatte ihn der Koch mehr als einmal unter lautem Schimpfen und Fluchen, mit einem Besen auf sein Hinterteil eindreschend, aus dem Gemüsegarten verscheucht.
    »Ich bleibe noch und helfe Ihnen, in der Küche alles zusammenzupacken«, bot der Hauslehrer Herr Jakov dem Koch an.
    »Nein, gehen Sie lieber mit dem Jungen«, entgegnete der Koch.
    Graf Lecter hob Mischa in die Kutsche, und Hannibal schloss die Arme um seine kleine Schwester. Als sein Vater eine Hand an seine Wange legte, stellte Hannibal überrascht fest, dass Graf Lecter zitterte.
    »Drei Flugzeuge haben die Bahngleise bombardiert. Oberst Timka sagt, wir haben mindestens noch eine Woche Zeit, wenn die Deutschen überhaupt bis hierher kommen, und dann wird es höchstens an den großen Straßen zu Gefechten kommen. Wir ziehen uns erst einmal ins Jagdhaus zurück. Dort haben wir nichts zu befürchten.«
    Es war der 23. Juni 1941, der zweite Tag von »Unternehmen Barbarossa«, Hitlers Blitzvorstoß durch Osteuropa nach Russland.

2

    Damit sich das Pferd nicht am Kopf verletzte, ging der Stallknecht Berndt auf dem Waldweg vor der Kutsche her und hackte mit einer kurzen Pike herabhängende Zweige weg. Herr Jakov folgte, die Satteltaschen voller Bücher, auf einer Mähre. Er war kein guter Reiter, und um unter den tief hängenden Ästen hindurchzukommen, klammerte er sich unbeholfen am Hals seines Pferds fest. Manchmal, wenn der Weg zu steil wurde, stieg er ab, um wie Lothar, Berndt und selbst Graf Lecter zu Fuß weiterzugehen. Hinter ihnen schnellten die beiseitegeschobenen Zweige zurück, um den Weg wieder zu verschließen.
    Hannibal roch das von den Rädern der Kutsche zerquetschte Laub und das warme Haar Mischas, die auf seinem Schoß saß. Hoch über ihnen flogen deutsche Bomber. Zum Bordun ihres tiefen Brummens, akzentuiert vom trockenen Stakkato der Flugabwehrgeschütze, summte Hannibal seiner Schwester ein Lied vor. Es war keine fröhliche Melodie.
    »Nein, Anniba«, sagte Mischa. »Sing das Männlein !« Gemeinsam stimmten sie darauf das Lied von dem geheimnisvollen kleinen Mann im Wald an. Ihre Mutter und das Kindermädchen Nana fielen in der heftig schaukelnden Kutsche mit ein, und wenig später ertönte von draußen auch die Stimme des Hauslehrers Herrn Jakov, obwohl er Mühe hatte, sich im Sattel zu halten, und zudem nicht gern auf Deutsch sang.

    Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm,
    Es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um.
    Sagt, wer mag das Männlein sein,
    Das da steht im Wald allein Mit dem purpurroten Mäntelein ...

    Nach zwei beschwerlichen Stunden erreichten sie tief im Wald eine von hohen Bäumen umgebene Lichtung.
    Das Jagdhaus war im Lauf der letzten dreihundert Jahre von einem primitiven Unterstand im Wald zu einem komfortablen Fachwerkhaus mit einem hohen Steildach ausgebaut worden. Ein Stück abseits davon stand eine kleine Scheune mit zwei Pferdeboxen und einem Schlafraum für das Gesinde, und direkt dahinter, durch eine Hecke den Blicken entzogen, befand sich ein mit zahlreichen Schnörkeln verziertes Aborthäuschen im viktorianischen Stil.
    Das Fundament des Jagdhauses bestand zum Teil aus den Steinen eines mittelalterlichen Altars, der von Anhängern eines Ringelnatterkults errichtet worden war. Als der Majordomus Lothar ein paar Ranken weghackte, damit Nana die Fenster öffnen konnte, sah Hannibal eine Ringelnatter aus dem alten Gemäuer kommen und in den Wald fliehen.
    Graf Lecter hatte für das Zugpferd einen Eimer Wasser aus dem Brunnen hochgezogen und strich ihm mit den Händen über das Fell, als es gierig daraus trank. Über Cesars Rücken hinweg wandte er sich dem Stallknecht zu. »Bis du wieder zurück in der Burg bist, Berndt, hat der Koch in der Küche sicher schon alles fertig zusammengepackt. Cesar soll sich über Nacht in seiner Box ausruhen, und dann kommst du bei Tagesanbruch zusammen mit dem Koch hierher zurück, auf keinen Fall später. Ich möchte, dass die Burg spätestens bis zum Morgen geräumt ist.«
    Der Hilfswillige Vladis Grutas hatte sein freundlichstes Gesicht aufgesetzt, als er den Hof von Burg Lecter betrat. Forschend ließ er den Blick von einem Fenster zum ändern wandern, dann rief er mit lauter Stimme: »Hallo, ist da jemand?«
    Grutas war schmächtig, hatte schmutzig blondes Haar und auffallend blaue Augen,
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