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Hannes - Falk, R: Hannes

Hannes - Falk, R: Hannes

Titel: Hannes - Falk, R: Hannes
Autoren: Rita Falk
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und lenke ihn ins Cockpit.
    »Er sollte verdammt noch mal das Tempo rausnehmen!« Dann drehen sich die beiden Köpfe vorne zu mir um (sie haben keine Gesichter) und ich kann sehen, dass sich das Lenkrad nicht dort befindet, wo es sein sollte. »Nehmen Sie doch zum Donnerwetter endlich das Tempo raus!«, schreit mich der Busfahrer an. Und blitzartig wird mir klar, dass ich der Fahrer des Busses bin. Ich halte das Lenkrad in den Händen und mein Fuß liegt schwer auf dem Gaspedal. Ich kann nicht durch die Frontscheibe sehen und hab keine Ahnung, wie die Straße verläuft. Ich hab nur diesen Blick durchs Seitenfenster, an dem die Äste der Bäume entlangschrammen. Dann wach ich auf.
    Donnerstag, 11.01.
    Ich sitze wieder auf deiner Bettkante und du schläfst. Ich würde mich gerne zu dir legen, mein Freund, weil ich manchmal nicht mehr weiß, wie ich die Augen offen halten soll. Irgendwann schlafe ich dann auf der Fensterbank ein, nichtlange, weil mich dein Röcheln weckt. Ich sauge dich wieder ab und du schläfst weiter. Manchmal krampfst du auch und manchmal musst du kotzen. Dein Fieber ist so hoch und es ist kaum vorstellbar, dass du das überlebst. Und keine Mittel helfen. Gerade war der Schnauzbart da und hat mich um ein Gespräch gebeten, Hannes. Ich werde also später zu ihm gehen, sobald eine der Schwestern Zeit hat, dich für ’ne Weile zu beobachten.
    Später. Ich war jetzt beim Schnauzbart und mir ist kalt. Er ist einfach ein unglaubliches Arschloch, Hannes. So was von unsensibel und kaltschnäuzig und überheblich und überhaupt. Wie er da schon sitzt, an seinem Riesenschreibtisch, und über seine Brille hinweg mit mir redet, an seinem dämlichen Bart zwirbelt und permanent nur Scheiße erzählt. Er hat gesagt: »Lassen Sie los, Uli. Sie müssen ihn gehen lassen, den Hannes. Sie müssen ihn die Entscheidung, auf dieser Welt zu bleiben oder nicht, selber treffen lassen. Zwingen Sie ihn nicht, Ihretwegen hierzubleiben, wenn er das nicht möchte. Ich habe seinen Eltern schon vor vielen Wochen gesagt, dass der Hannes dieses Stadium, das er jetzt erreicht hat, nicht mehr wesentlich überschreiten wird. Ich habe ihnen gesagt, dass die Untersuchungen ergeben haben, dass er so bleibt, wie er jetzt ist. Er wird sein Leben lang in einem Rollstuhl sitzen und Hände drücken. Und das war’s. Viel mehr geht nicht. Seine Eltern haben das natürlich nicht ertragen können und wollten stattdessen Krankengymnastik und einen Logopäden und so weiter und so fort. Das ist alles kein Problem, Uli. Das können sie bekommen. Es wird aber trotzdem nichts ändern, verstehen Sie. Sein Gehirn ist dermaßen geschädigt, dass er auf dem Stand eines vielleicht Zweijährigen bleibenwird. Sein Leben lang. Und er wird sein Leben lang auf jede Erkältung oder Grippe anspringen, weil sein Immunsystem nicht mehr funktioniert, verstehen Sie das? Ich habe eigentlich gar nicht das Recht, Ihnen das alles zu sagen, weil Sie kein Familienmitglied sind. Sie sind nur ein Freund, nicht wahr? Das waren Ihre Worte, Uli. Ich sage es Ihnen deshalb, weil der Hannes längst schon tot wär, wenn Sie nicht wären. Sie kennen nun die Fakten, und ich hätte Ihnen gerne etwas anderes gesagt, das dürfen Sie mir wirklich glauben. Ich kann es aber nicht. Ich kann es nicht.«
    Ich hab ihm dann gesagt, er soll seine Horrormärchen erzählen, wem immer er mag. Mich wird nichts wegbringen von deinem Bett. Gar nichts.
    Jetzt sitz ich auf der Fensterbank und schreibe diese Zeilen. Ich schau in die alte Kastanie, auf ihren Ästen liegt Schnee. Sie hat alles gesehen von unserer Zeit hier, Hannes. Hat im Frühjahr rot geblüht und hat uns im Sommer Schatten gespendet. Hat im Herbst ihr Laub verloren und war danach kahl, zeigte nur das Wesentliche. Jetzt liegt Schnee auf ihr und sie kann uns nicht mehr sehen. Will uns nicht mehr sehen. Verbirgt sich unterm Schnee, um sich den Anblick zu ersparen.
    Hat der Schnauzbart womöglich recht? Willst du gehen und bleibst nur, weil ich dich nicht lasse? Ich nehm das Foto vom ersten Schultag aus der Hosentasche. Wir grinsen beide in die Kamera. Arm in Arm. Der Riss geht genau durch die Mitte des Bildes und ist mit Tesa geklebt.
    Montag, 12.02.
    Nun hat mich doch etwas weggebracht von deinem Bett, mein lieber Freund, und ich hätte es wissen müssen. Mich hat die Grippe geholt wie der Teufel die Seele, und es war die Walrika, die es gemerkt hat. Sie hat mich gesucht, einfach weil ich nicht mehr zum Rauchen gekommen bin, und ist
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