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Hana

Hana

Titel: Hana
Autoren: Lauren Oliver
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lautlos Bilder vorbeiziehen – Lena bewegt ihren Mund, zwei Männer laden irgendwelches Zeug auf einen Lastwagen, ein kleines Mädchen in einem zu großen Badeanzug sieht uns mürrisch von einer Tür her an – und ich rede auch, antworte, lächele sogar, während meine Worte vom Schweigen aufgesogen werden, vom grellen weißen Licht eines sonnengetränkten Traums. Dann gehen wir. Ich begleite sie nach Hause, allerdings schwebe ich nur, treibe, gleite über den Bürgersteig.
    Lena spricht, ich antworte. Die Wörter schweben ebenfalls – es ist eine Unsinnssprache, Traumgeplapper.
    Heute Abend werde ich wieder mit Angelica zu einer Party nach Deering Highlands gehen. Steve wird auch dort sein. Die Luft ist wieder rein. Lena sieht mich abweisend und voller Angst an, als ich ihr das sage.
    Es spielt keine Rolle. Nichts davon spielt noch eine Rolle. Wir fahren wieder Schlitten – in die Weiße, in eine Decke aus Stille.
    Aber ich werde weiterfahren. Ich werde aufsteigen, hoch hinauf, und abheben – hoch, hoch, hoch in den donnernden Lärm und den Wind – wie ein Vogel, der in den Himmel gesaugt wird.
    Wir bleiben nicht weit von ihrem Haus entfernt auf der Straße stehen, an derselben Stelle, an der ich neulich auch stand und beobachtet habe, wie sie glücklich und ohne mich zu bemerken, mit Grace den Bürgersteig entlanggegangen ist. Die Flugblätter bedecken immer noch die Straße, obwohl heute kein Wind geht. Sie hängen perfekt ausgerichtet, die Kanten ordentlich nebeneinander, das Siegel der Regierung prangt Hunderte von Malen auf beiden Seiten der Straße. Lenas andere Großcousine Jenny spielt mit ein paar Kindern am Ende der Straße Fußball.
    Ich bleibe zurück. Ich will nicht, dass sie mich sieht. Jenny kennt mich und sie ist schlau. Sie wird mich fragen, warum ich nicht mehr zu Lena komme, sie wird mich mit ihren harten, lachenden Augen anstarren und sie wird wissen – wird spüren –, dass Lena und ich nicht mehr befreundet sind, dass Hana Trent sich in Luft auflöst wie Wasser in der Mittagssonne.
    »Du weißt, wo …«, sagt Lena und macht eine beiläufige Handbewegung die Straße entlang. Du weißt, wo du mich findest , meint sie und damit bin ich entlassen. Und plötzlich habe ich nicht länger das Gefühl, zu träumen oder zu schweben. Ein schweres Gewicht füllt mich aus, bringt mich in die Wirklichkeit zurück, zurück zur heißen Sonne, zum Geruch nach Müll und zu den schrillen Schreien der Fußball spielenden Kinder auf der Straße und zu Lenas Gesicht, beherrscht, neutral, als wäre sie bereits geheilt, als hätten wir uns nie im Leben etwas bedeutet.
    Das Gewicht steigt immer höher in meiner Brust und ich weiß, dass ich jeden Moment anfangen werde zu weinen.
    »Also dann. Wir sehen uns«, sage ich schnell und überspiele meine brüchige Stimme mit einem Husten und einem Winken. Ich drehe mich um und gehe schnell davon, während die Welt sich in einer farbigen Spirale dreht wie eine Flüssigkeit, die in den Abfluss trudelt. Energisch setze ich die Sonnenbrille auf.
    »Okay. Bis dann«, sagt Lena.
    Eine Flut dringt jetzt aus meiner Brust hinauf in meine Kehle und mit ihr der Drang, mich umzudrehen und Lenas Namen zu rufen, ihr zu sagen, dass ich sie vermisse. Ich habe einen säuerlichen Geschmack im Mund, der zusammen mit diesen alten, vertrauten Worten aus der Tiefe hochsteigt, und ich merke, wie sich die Muskeln in meinem Mund anspannen und versuchen, die Worte zurück- und hinunterzudrücken. Aber der Drang wird unerträglich und ich stelle fest, dass ich mich unwillkürlich umdrehe und ihren Namen rufe.
    Sie ist bereits vor ihrem Haus angelangt. Mit der Hand auf dem Tor bleibt sie stehen. Sie sagt nichts, starrt mich nur ausdruckslos an, als hätte sie in der Zeit, in der sie die fünf Meter gegangen ist, bereits vergessen, wer ich bin.
    »Schon gut«, rufe ich, und als ich mich diesmal umdrehe, zögere ich weder noch blicke ich zurück.
    Steves Nachricht ist heute Morgen in einer zusammengerollten Reklame für Underground Pizza – Heute Abend NEUERÖFFNUNG! eingetroffen, die in einem der eisernen Kringel an unserem Gartentor steckte. Die Nachricht besteht nur aus zwei Wörtern – bitte komm  – und ist mit seinen Initialen unterschrieben, damit, falls meine Eltern oder ein Aufseher sie entdecken, niemand Rückschlüsse ziehen kann. Hinten auf der Reklame ist eine grobe Karte, auf der nur ein einziger Straßenname eingezeichnet ist: Tanglewild Lane, wieder eine Straße in
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