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Hamam - Kolats Zaubertrank

Hamam - Kolats Zaubertrank

Titel: Hamam - Kolats Zaubertrank
Autoren: Karola Cantor
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tief in ihren Höhlen liegenden Augen waren die Mangelernährung und der schlechte Gesundheitszustand des Kindes auf den ersten Blick zu erkennen.
    „Gelobt sei Jesus Christus, ehrwürdiger Abt“, stammelte der Junge aufgeregt und nahm seine Mütze ab. „Mein Vater schickt mich. Ich glaube, wir haben Pater Innozenz gefunden. Es ist etwas Schreckliches passiert. Er hängt gleich hier um die Biegung an einem Baum. Am besten Ihr kommt mit und schaut es Euch selber an.“
    Der Junge führte die Reiter hinter ein dichtes Gebüsch abseits des Weges. Als der Abt und seine Männer den Tatort erreichten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Der Mönch war mit den Füßen zuoberst am Ast einer Fichte aufgehängt. Zwei Frauen und einige ältere Männer, die sich beim Eintreffen des Abtes bekreuzigten, umstanden flüsternd und mit entsetzten Gesichtern den Gehenkten. Der Mönch war von den Füßen abwärts bis zum Halsansatz nackt, seine nach unten gefallene Kutte schleifte über den Waldboden und verdeckte lediglich noch seine Oberarme und sein Gesicht. Sein Rücken und sein Unterleib waren von blutig-roten Striemen überzeugen. Innozenz war offenkundig ausgepeitscht worden, wobei die Täter auch sein Geschlechtsteil nicht verschont zu haben schienen – ganz im Gegenteil. Und als Gipfel der Demütigung ragte das Ende eines gekrümmten Knüppels wie ein Phallus aus seinem After heraus. Käfer, Ameisen und ein paar Würmer hatten bereits ihren Weg über die Kutte gefunden und mit dem ihnen von der Natur zugedachten Zersetzungswerk begonnen. ….

Aus Kapitel 2:

    Donnerstag, 22. August, 1646

    Es war gegen neun Uhr am Morgen, als Bruder Claudius vom Cellerar den Schlüssel zum Hinterausgang der Klausur entgegennahm und die schwere, eisenbeschlagene Eichentür öffnete, die durch die hohe Klostermauer ins Freie führte. Fidel und gut gelaunt schlenderte er entlang des glasklaren, von Weiden und Pappeln umsäumten Baches, der zu den Fischteichen führte, die den Mönchen zur Forellenzucht dienten.
    Claudius war nach den Vigilien, dem Frühgebet der Mönche, zum Dienst in der Küche eingeteilt und hatte für seine Ordensbrüder die Morgenmahlzeit vorbereitet, die er nach der Messe gemeinsam mit diesen im Refektorium eingenommen hatte. Danach war er erneut in der Küche beschäftigt und begann unter der Anleitung des Küchenmeisters mit der Vorbereitung des Mittagsmahles. Da zur Mittagsstunde eine Delegation des Trierer Domkapitels erwartet wurde, die auf ihrem Weg nach Köln im Kloster Eichenborn Station machen wollte, sollte das Mittagessen an diesem Tag besonders opulent ausfallen. Nachdem die Kartoffeln geschält und geviertelt, das Gemüse geputzt, geschnipselt und in einer leichten Salzlake eingelegt war, schickte der Küchenmeister Claudius nach draußen, um im angrenzenden Wald Brombeeren zu pflücken, die er zu einer fruchtigen Nachspeise für die Mönche und die erwarteten Gäste verarbeiten wollte.
    Claudius liebte die wenigen Stunden der Freiheit, die ihm vom Abt und dem Cellerar von Zeit zu Zeit eingeräumt wurden, um außerhalb der Klostermauern nach Waldfrüchten, Pilzen oder Kräutern zu suchen; ein Privileg, das nicht allen Novizen der Abtei gewährt wurde. Es war Donnerstagmorgen Ende August, und die Sonne brannte schon heiß vom Himmel herab. Die Brombeerhecken, die entlang des ausgetretenen Pfades am Bach wuchsen, waren überladen von den reifen, blauschwarzen Früchten und obwohl er es sich nicht nehmen ließ, sich den Bauch mit den saftig-süßen Beeren voll zu schlagen, dauerte es nicht lange, bis Claudius die zwei Körbe gefüllt hatte, die ihm vom Cellerar mitgegeben wurden.
    Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, blieb ihm noch eine gute Stunde Zeit, bis er sich zurückmelden musste, um dem Küchenmeister seine Ausbeute dieses Morgens zu übergeben. Und so schlenderte er noch eine Weile entlang des Fischteiches, bis er an eine unübersichtliche, von hohem Schilfgras umsäumte Stelle kam, von der aus ein hölzerner Bootssteg ins Wasser führte. Ein kleiner Nachen, den die Mönche zum Fischen benutzten, war am Steg befestigt und schaukelte sanft auf der von einer frischen Brise leicht gekräuselten Wasseroberfläche. Einige weiße Schleierwölkchen, die zu wundersamen Skulpturen geformt waren, zogen ihre Bahn an dem ansonsten strahlend blauen Himmel und spiegelten sich auf der Wasseroberfläche.
    Hinter dem Schilfgras entledigte er sich seiner Kutte, watete bedächtig in das frische, erdig riechende Wasser,
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