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Haltlos

Haltlos

Titel: Haltlos
Autoren: Cornelia Koenig
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bereitliegenden Decke. Wenn sie Angst vor Monstern hatte, die sich gemeiner Weise unter ihrem Bett oder in ihrem Schrank versteckten, sobald man das Licht angeschaltet hatte, nahm er die für solche „Notfälle“ bereitstehende, große Taschenlampe, ging mit ihr zusammen in ihr Zimmer und gemeinsam vertrieben sie jedes noch so grausige Ungetüm. Am Tag des Unfalls – Tessa griff unbewusst nach ihrem Plüschhasen, zog in fest an sich und umklammerte ihn – wollte sie nicht, dass ihre Eltern zu den Laceys zum Dinner fuhren. Es war kindisch von ihr. Sie wollte, dass Daddy sie ins Bett brachte. Sie wollte, dass er ihr eine seiner tollen Geschichten erzählte. Deshalb stand sie an diesem Abend mit ihren großen flehenden blauen Augen und den wuscheligen, lockigen, dunkelbraunem Haar vor ihrem Dad und bat ihn in brünstig nicht zu fahren. Er könne die Verabredung doch absagen. Er lächelte sie verständnisvoll an und zauberte hinter seinem Rücken diesen gigantisch großen, kuscheligen, weißen Plüschhasen hervor. „Das ist Mr. Huggles. Er wird auf dich aufpassen während Mummy und ich zum Dinner aus sind. Wir werden nicht lange weg bleiben, versprochen. Und wenn du ganz artig bist, ins Bett gehst ohne Miranda – das war ihre Nanny – ärger zu machen, komme ich nachher noch mal und schaue nach dir, wenn wir wieder zurück sind mein Schatz. Alles o.k.?“ Tessa nickte, „Daddy hat dich lieb!“ Strahlend nahm Tessa den Hasen in die Arme „Ich bin immer artig Daddy, das weißt du doch!“ „Ja mein Engel, dass weiß ich.“ Er beugte sich zu ihr hinunter, nahm sie fest in die Arme und drückte ihr zum Abschied einen Kuss auf die Stirn. „Bis bald Prinzessin!“ Er stand auf, reichte seiner Frau den Arm und beide gingen durch die Eingangshalle hinaus in die Dunkelheit. Tessa blieb mit Miranda so lange in dem Foyer stehen, bis auch die Rücklichter vom Wagen ihres Vaters nicht mehr zu sehen waren. Diese drei Worte. „Bis bald Prinzessin!“ Das waren die letzten Worte, der er zu ihr gesagt hatte. Die letzten Worte, die sie mit seiner vertrauten Stimme gehört hatte. Und obwohl sie auf ihren Vater gehört hatte, sich nach dem Abendbrot bettfertig machte, Zähne putzte und sogar ihre Anziehsachen ordentlich auf die Kommode legte und nicht wie üblich quer durch den Raum verteilte, war es nicht die Stimme ihres Daddys, die mitten in der Nacht gedämpft aus der Lobby durch die schwere Holztür bis hin zu ihr ins Zimmer drang. Nein, es waren die vor Schmerz verzerrten und vor Trauer zitternden Stimmen von Miranda und Onkel Josh – der streng genommen nicht wirklich ihr Onkel war. Onkel Josh war der beste Freund ihres Vaters seit die Beiden gemeinsam zur Uni gegangen sind. Sie sprachen mit einem Mann, so viel konnte Tessa noch ein wenig verschlafen feststellen. Beunruhigt schlich sie sich auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer, den Flur entlang, bis hin zur Galerie. Von dort aus konnte man sich oft unbemerkt einen guten Überblick über die Eingangshalle verschaffen. Ihr Bruder Lukas und sie taten dies häufig. Vor allem vor Weihnachten oder größeren Festen, die ihre Eltern gelegentlich ausrichteten. Ihre gesellschaftliche Stellung verlangte dies, obwohl ihre Eltern nicht sonderlich viel mit der Bussi-Bussi-Gesellschaft der High Society anfangen konnten. Lukas und Tessa bestaunten dann all die elegant gekleideten Menschen, mit denen ihre Eltern vor allem beruflich verkehrten. Auch heute war sie nicht allein hier oben. Ihr Bruder saß bereits unnatürlich starr am hölzernen Treppengeländer der Gründerzeitvilla. „Lukas“ flüsterte sie. „Lukaas!“ noch einmal, als er nicht reagierte. „Lukas, was ist denn da unten los? Was will dieser Mann mitten in der Nacht hier bei uns?“ Wieder reagierte Lukas nicht. Er sah sie nicht einmal an. Wahrscheinlich bemerkte er sie nicht. Sie verstand nicht gleich, registrierte aber die Tränen, die an seinen Wangen hinunterliefen und seine geröteten Augen. Er weinte. Es fiel ihr schwer ihn nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln. Sie wollte, dass er sie ansah, sie bemerkte, dennoch beherrschte sie sich. Tessa zwang sich ihren Blick auf die so deplatziert wirkende Gruppe im Foyer zu richten. Jetzt fiel ihr auch noch der Vierte im Raum auf. Es war ein junger Mann in Uniform. Ein Officer. Er stand ein wenig entfernt hinter dem Mann im dunkelblauen Trenchcoat, der mit Miranda und Onkel Josh sprach. Er sah noch verlorener und unbehaglicher aus, als der Andere. Sie fühlte,
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