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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman
Autoren: Adam-Troy Castro
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erträglich gewesen, hätte ich ein geschlossenes Transportmittel gehabt; aber nein, es war ein Modell ohne Dach, das nur durch einen Ionenschirm vor Niederschlägen und Wind geschützt wurde, dabei jedoch so ruhig dahinflog, dass ich, hätte ich die Augen geschlossen, keinerlei Bewegung wahrgenommen hätte. Aber ich wusste, dass das Ding offen war. Ich wusste, dass ich bei einem Anfall vorübergehenden suizidalen Wahns nur allzu leicht über das hüfthohe Schott klettern und zu Tode stürzen konnte. Ich wusste es, und ich konnte es nicht ignorieren.
    Genauso wie ich wusste, dass jemand in diesem Habitat ein Mörder war.
    Entschuldigung. Jemand anderes.
    Ich vergesse immer, mich selbst dazuzurechnen.
    Der Transporter unterbrach meine Überlegungen: Andrea Cort: Leiden Sie an Dysstress?
    »Ja. Woher wissen Sie das?«
    Ihr Blutdruck, Ihr Puls und Ihre Atmung spiegeln eine Anspannung wider, die mit dem Anfangsstadium einer Panik konsistent ist.
    »Mir war nicht klar, dass Sie mich so genau beobachten.«
    Sie sind unser Gast, und solange Sie sich in unserer Obhut befinden, ist Ihre Gesundheit von höchster Wichtigkeit. Wünschen Sie eine medikamentöse Behandlung?
    »Nein.«
    Dann vielleicht ein therapeutisches Gespräch?
    Jahrelang hatte ich eine Therapie über mich ergehen lassen, die ich nicht gewollt hatte. Hatte Medikamente bekommen, die mir nicht geholfen haben, hatte mein Gehirn bis auf die molekulare Ebene kartografieren lassen auf der Suche nach Antworten, die nicht existierten. Wenn ich überhaupt irgendetwas erreicht hatte, dann war es wohl die tief empfundene lebenslange Aversion gegenüber Lebewesen, die es gut mit mir meinten. »Nein. Vielleicht später?«
    Sie wären nicht der erste Mensch, dem diese Umgebung Schwierigkeiten bereitet. Hilfe ist verfügbar.
    »Nein, danke.«
    Der Transporter respektierte meinen Wunsch weitreichend genug, um mich in Ruhe zu lassen, womit er zugleich einen entscheidenden Unterschied zwischen softwaregesteuerter Intelligenz und menschlichen Wesen demonstrierte.
    Menschliche Wesen mischten sich ein, ob sie erwünscht waren oder nicht.
    Die Einrichtung, die das Humankontingent von One One One beherbergte, war ein Netzwerk aus herabhängenden Leinwandgebilden, die wie Flaschenkürbisse an dem Überwuchs baumelten. So grau wie das Rankennetz, das ihnen Halt gab, wirkten sie in einem Maße wie ein organischer Bestandteil der sie umgebenden Landschaft, dass ich sie erst aus der Nähe als von Menschen gemachte Gebilde erkannte.
    Es mussten um die fünfzig Hängematten sein, die bündelweise herabhingen, und nur wenige befanden sich ein Stück abseits und wirkten vergleichsweise isoliert. Verbunden wurden sie durch Brücken aus flexiblen Netzen, die vor menschlichen Wesen nur so wimmelten. Manche hielten sich sogar in dem Überwuchs auf und hangelten sich ohne Sicherheitsleine von Ast zu Ast. Eine biegsame junge Frau mit flammend orangefarbenem Haar stürzte sich aus dieser kostbaren Zuflucht herab, schwebte für einen Moment mitten in der Luft und landete dann auf einem der Netze. Sie hüpfte auf und nieder, ohne sich im Mindesten um die Tatsache zu scheren, dass dieser Sturz tödlich geendet hätte, hätte sie ihr Ziel verfehlt.
    Der Transporter wurde langsamer, richtete sich neu aus und glitt unter den Hängematten hindurch, die nun so nah waren, dass die Umrisse der bäuchlings daliegenden menschlichen Wesen selbst in den tiefsten Ebenen dieses Geflechts erkennbar waren. Einige der Menschen, die auf den Netzbrücken unterwegs waren, hielten bei meiner Ankunft inne, um mich zu beäugen. Ihr Kleidungsstil bewegte sich von hautengen Overalls bis hin zu vollkommener Nacktheit, jedenfalls in einigen Fällen. Männer, Frauen und ein paar erkennbare Geschlechtslose waren samt und sonders gebaut wie Turner auf dem Höhepunkt ihrer physischen Leistungsfähigkeit. Die meisten waren recht kompakt, allerdings fielen mir unter ihnen auch Gestalten mit langen, spinnenartigen Gliedern auf. Ihre Mienen spiegelten eine sonderbare Mischung aus Hoffnung, Furcht, Groll und Trotz wider, bisweilen alles auf einmal.
    Diesen Ausdruck hatte ich schon früher gesehen.
    So sahen Leute aus, die unter einem Belagerungszustand litten.
    Der Gleiter wurde noch langsamer und hielt schließlich unter einer der zentralen Hängematten. Als er die Schilde senkte, fühlte ich Wind: eine leichte, warme Brise, die eine Mischung aus Meeresgeruch und der zuckergesättigten Luft vor einem Süßwarenladen mit sich trug, den
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