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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman
Autoren: Adam-Troy Castro
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diejenige gewesen war, die dieses Wesen aus der Welt atmenden Lebens in die Welt der Dinge befördert hatte, die nur noch verrotteten.
    Sie wollte es so sehr, dass das erwachsen gewordene Monster, das all diese Augenblicke vom Standpunkt der Überlebenden erneut durchlebt, den Selbsterhaltungstrieb bestaunt, der dieses Mädchen dazu gebracht hatte, sich so lange versteckt zu halten. Es staunt, dass die Kleine es schaffte, lange genug stillzuhalten, um sich vor all den Erwachsenen zu verstecken, die sich in wahre Monster verwandelt hatten, ehe sie ihr antun konnten, was sie bereits ihrem Vater, ihrer Schwester, ihren Nachbarn und Freunden angetan hatten.
    Wenn sie sich nur weiter versteckt gehalten hätte.
    Dann hätte sie vielleicht vermeiden können, ihre Hände mit Blut zu beflecken.
    Vielleicht.
    In Träumen kann alles geschehen. Die Geschichte kann neu geschrieben werden. Das Schicksal lässt mit sich handeln. Dinge, in Stein gemeißelt, lassen sich umformen, als bestünden sie aus weicher Knetmasse.
    Aber dieser Traum folgt wahren historischen Ereignissen.
    Dieser Traum birgt eine Unabwendbarkeit, die das Monster in ihr das ganze Leben lang gepeinigt hat.
    Dieser Traum birgt das Wissen, dass all diese Dinge längst geschehen sind und folglich nicht geändert werden können.
    Dieser Traum zelebriert den Moment, der das kleine Mädchen zu einem Monster gemacht hat.
    Das kleine Mädchen in dem Traum fürchtet sich nicht, weil es weiß, dass es in dieser Nacht sterben könnte, sondern weil es um das Monster weiß, das durch die erwachsenen Augen blickt, weil es weiß, dass der Tod besser sein mag als das Leben, das ihm bevorsteht.
    Gefangen in einem Traum, der sich nie verändert, hört das kleine Mädchen ein Rascheln und weiß, es ist noch jemand anderes im Raum.
    Sie weiß, es ist jemand, den sie liebt.
    Sie weiß, er ist gekommen, um sie zu töten.
    Sie weiß, sie wird ihn zuerst umbringen.
    Sie weiß, im Augenblick seines Todes wird sie einen Rausch krankhafter Glückseligkeit erleben, die keine andere Freude in ihrem Leben je hervorzubringen imstande sein wird. Und sie weiß, sie wird dieses Gefühl für den Rest ihres Lebens vermissen.

1
    HABITAT
    Ich war nie ein Anhänger natürlicher Ökosysteme.
    Ich weiß, sie werden verklärt. Sie sind wunderbar für Leute, die gern Insekten erschlagen, in Fäkalien treten und sich sonderbare Krankheiten einfangen, eine seltsame Subspezies der Menschheit, der ich nie angehört habe. Ich wuchs in urbanen Orbitalhabitaten auf und wusste es schlicht und einfach besser. Aber sogar ich muss eingestehen, dass natürliche Umgebungen sich zufällig entwickeln und folglich nicht für ihr hohes Maß an Unannehmlichkeiten verantwortlich gemacht werden können.
    Künstliche Ökosysteme, aufgebaut von denkenden, fühlenden Wesen, die wissen, dass wir längst mehr können als nur das, sind ganz einfach pervers.
    Die Zylinderwelt One One One legte beredtes Zeugnis davon ab.
    Sie war so verdreht, sowohl vom Konzept her als auch in der Ausführung, dass sie auch noch die widerlichsten Sudeleien der Natur verherrlichte. Wie die meisten derartigen Konstruktionen rotierte sie mit hoher Geschwindigkeit, um in der internen Landschaft eine Art Gravitation in der der Rotationsachse entgegengesetzten Richtung zu simulieren. Das ist lediglich eine grundlegende Technik, so alt, dass die stumpfsinnige frühe Menschheit sie schon für eine brillante Idee hielt, ehe wir überhaupt ins All zogen, wo wir diese brillante Idee in die Praxis umsetzen konnten. Aber die meisten Zylinderwelten kreisten um Planeten oder hingen in Sonnensystemen herum, erbaut von Wesen, die sich auf Planeten entwickelt hatten, welche Leben hervorbrachten, das bevorzugt auf festem Boden herumlief, auch dann, wenn dieser feste Boden einen Horizont aufwies, der zu beiden Seiten aufwärts gekrümmt war. Folglich erbauten sie ihre Habitate auf der Ebene, die der planetarischen Vorstellung von oben und unten am nächsten kommt: dem höchsten »Stockwerk«.
    Auf One One One hatte die unabhängige intelligente Software, auch bekannt als die KIquellen, dieses gewohnte Modell auf den Kopf gestellt. Die Station selbst lag tief im interstellaren Raum, gute zwanzig Lichtjahre entfernt von der nächsten bewohnten Welt und weit weg von sämtlichen Territorien, die von einer der wichtigeren raumfahrenden Spezies beansprucht wurden. Wir hätten nie davon erfahren, hätte man uns die Adresse nicht gegeben. Der bewohnbare Innensektor
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