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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Heiligabends, hatte er Silvia für das Verhör noch mal gründlich präpariert. Wraage hatte wie immer stoisch auf seinem Stuhl gesessen. Swensen hatte ihn unauffällig aus der hinteren Ecke beobachtet, während die Kollegin versucht hatte, ihre Fragen besonders sachlich zu stellen ohne sich nur einen Hauch von Emotion anmerken zu lassen.
    »Ein Zeuge hat Sie am neunten Dezember gegen 24:00 Uhr nach Hause kommen sehen. Wo waren Sie an diesem Samstagabend?«
    Wraage hatte den Blick gesenkt gehalten und sich nicht gerührt. Eine bleierne Schwere hatte sich im Raum ausgebreitet, nur vom gleichmäßigen Atmen der Anwesenden unterbrochen.
    Wraage hatte den Kopf gehoben. Swensen waren sofort die unruhigen, stechenden Augen aufgefallen.
    Das typische Bilderbuchklischee eines Ganoven, hatte er gedacht, unscheinbar und gepflegt nach außen, dahinter schimmert aber etwas merkwürdig Unheimliches durch.
    Der Dracula-Darsteller Christopher Lee war ihm in den Sinn gekommen und er erinnerte sich an ein Buch über Mythen und Märchen, das er vor Jahren einmal gelesen hatte. Der Dämon wurde dort als eine unbeschreibbare Kraft gedeutet, die der Mensch nur in Erscheinungen sieht, die er nicht versteht. Weiter hieß es dort, dass Dämonisches und Göttliches selbst in unserem Kulturkreis sich ursprünglich nicht unterschieden. Erst im Christentum wurde der Begriff Dämon zu etwas Negativem.
    Immer, wenn uns etwas Übermächtiges entgegentritt, werden wir unsicher und ängstlich, hatte Swensen gedacht. Vielleicht ist unsere Annahme einfach falsch, dass Wraage bei einer Frau eher reden würde. Er musste einen anderen, menschlichen Zugang zu diesem Mann finden.
    Das Geräusch der Menschen, die sich von den Bänken erheben, holt Swensens Aufmerksamkeit in den Raum zurück. Hunderte Stimmen beginnen das ›Vaterunser‹ zu murmeln. Sein Blick fällt auf den gekreuzigten Holzchristus, der vor dem Chorbogen hängt. Darunter steht der Pastor und hebt seine Hände.
    »Euch allen eine geheiligte Nacht und Frieden auf Erden!«
    Swensen verlässt als erster die Kirche und stellt sich rechts an die Treppe, die zur Straße hinabführt. Wenig später strömen die Menschen an ihm vorbei. Er heftet seinen Blick auf die Gesichter, bis er Anna und ihre Mutter entdeckt. Anna schüttelt sichtlich verärgert den Kopf, als Swensen ihr seine Hand auf die Schulter legt.
    »Tut mir leid …«, sagt er.
    »… aber der Dienst kennt keinen heiligen Feierabend«, ergänzt sie.
    Er nickt heftig und begrüßt Annas Mutter übertrieben herzlich. Die alte Dame lächelt freundlich, greift nach Swensens Händen und schüttelt sie.
    »Sie müssen aber auch immer arbeiten, Sie Armer!«
    Anna blickt genervt zum Himmel. Die angespannte Stimmung nimmt ihren Lauf. Swensen stößt beim Zurücksetzen mit seinem Wagen gegen einen Begrenzungspfahl. Die Gans, die schon länger im Backofen brutzelt, will und will nicht knusprig werden. Danach gibt der verspätete Weihnachtsbraten Annas Mutter den Rest. Noch vor der angesetzten Bescherung sitzt sie mit kurzen Schnarchattacken dösend auf dem Sofa. Anna hat große Mühe sie ins Bett zu bugsieren. Sie entscheiden, beide den Rest des Abends bei Anna in Witzwort zu verbringen. Draußen ist der Himmel sternenklar. Sie fahren getrennt. Swensen kommt zuerst an und wartet auf Anna vor ihrer Haustür, obwohl er einen Schlüssel hat. Er will das Zerwürfnis nicht noch weiter auf die Spitze treiben. Eine richtige Entscheidung. Als Anna ein paar Minuten später durch das Gartentor tritt, hat sich ihr Gesicht nicht aufgeklärt.
    »Ich hätte schon erwartet, dass du die Einladung meiner Mutter etwas ernster genommen hättest«, sagt sie, öffnet die Haustür, drückt den Lichtschalter im Flur und geht direkt ins Wohnzimmer durch. Noch im Mantel zündet sie die Kerzen an ihrem kleinen Weihnachtsbäumchen an. »Du musst schon entschuldigen, aber wir haben Ruppert Wraage verhaftet.«
    »Ich weiß! Habs in der Zeitung gelesen«, kommentiert sie knapp.
    »Wir vernehmen ihn täglich, auch heute Morgen.«
    »Natürlich deine vermaledeite Arbeit, hätte ich wissen müssen, oder?«
    »Anna, es geht um ein schnelles Geständnis. Püchel sitzt mir im Nacken, weil es alles andere als gut läuft. Wraage ist eine besonders harte Nuss. Die gesamte Beweislage ist ziemlich wacklig und unser arroganter Täter sagt einfach kein Wort.«
    »Sie sind anscheinend noch immer im Dienst, Herr Kommissar«, sagt Anna bissig.
    »Nur ein paar kleine Fragen an die Expertin«,
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