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Häschen in der Grube: Roman (German Edition)

Häschen in der Grube: Roman (German Edition)

Titel: Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Sveland
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verspürt.
    Wie sie so in dem kleinen Zimmer unter der Decke schwebte, fühlte sie sich sicher und frei, erst hinterher, als Carl von ihr heruntergerollt war, kam das Entsetzen. Die Tränen strömten ihr über die Wangen, als sie sah, dass sie die Laken und die Matratze verschmutzt hatte. Ein großer roter Fleck, der sie vor Scham noch mehr weinen ließ. Carl war so lieb und tröstete sie.
    »Das macht nichts, Liebling! Kümmere dich nicht darum.«
    Die Wärme seiner Stimme war wie frisch gebackene Zimtschnecken an einem verregneten Nachmittag, so anders als sein eben noch harter Körper und sein Schweigen. Das Gefühl, dass sie das, was im Bett geschehen war, nur geträumt hatte, wurde durch sein sanftes Streicheln ihrer Wangen verstärkt. Sie rutschte vorsichtig näher, schmiegte sich in seine Arme und fühlte sich nun geborgen und voller Zärtlichkeit.
    Er küsste ihr die Stirn und sagte, so sei es immer beim ersten Mal, nach einer Weile würde es besser werden. Sie glaubte ihm. Die Schmerzen waren nach ein paar Malen verschwunden, aber sie spürte nie mehr diese warme, erwartungsvolle Lust. Manchmal empfand sie einen Hauch undefinierbarer Sehnsucht, aber der verschwand schnell wieder. Sie konnte jedoch definieren, was die Wärme von Carls heftigen Bewegungen in ihr auslöste: eine Art Befriedigung, zu wissen, dass ihr Körper Carl den Genuss lieferte, den er brauchte.
    Manchmal nachts kam es. Ein undefinierbares Geräusch aus einem der vielen Zimmer. Ein Klagen, sie musste sich das Kissen über den Kopf ziehen und das Gesicht in die Matratze bohren. Dann kamen auch die Erinnerungen zurück, die sie mit aller Macht zu verdrängen suchte. Wie Bilder in einem Film über jemand anderen.
    Tante Stina auf den Knien mit der Scheuerbürste und dem Eimer mit dampfend heißem Seifenwasser. Ihr runder Körper war das Weichste, das Gisela kannte. So weich wie die dicken Finger von Onkel Kaj hart waren. Niemand konnte kneifen wie er. Hart und schnell, rote Male blieben zurück, die sich nach einer Weile in dunkelblaue Ovale auf ihren Armen verwandelten. Er wollte nicht gemein sein, es war nur Spaß.
    »Oh je, oh je, wie mager du bist! Man sollte meinen, du hättest seit dem Ersten Weltkrieg nichts gegessen. Du Ärmste!«
    Und dann das polternde Lachen und der Geruch von Öl und Benzin, den er von seiner Arbeit an der Tankstelle mitbrachte.
    Stinas ärgerliche Stimme aus dem Zimmer.
    »Hör auf, das Mädel zu ärgern, Kaj!«
    »Ich ärger sie nicht, ich mach doch nur Spaß! Nicht wahr, Onkel Kaj ärgert dich doch nicht?«
    Ein kaum spürbares Kopfnicken und ein schwaches Lächeln reichten als Antwort.
    »Lass sie trotzdem in Ruhe.«
    War da Unruhe in der Stimme? Gisela war sich nicht sicher. Unruhe weswegen? Kaj machte doch nur Spaß, wie immer. Auch wenn seine Kniffe wie dunkelblaue Typhusflecken auf ihren Armen blieben. Und wenn jemand Spaß machte, dann lachte man, alles andere war unhöflich.
    Ihre Mutter Erika kniff sie auch ab und zu, wenn sie es mal wieder schwer hatte. Aber irgendwie anders, Gisela konnte sich kaum noch daran erinnern. Sie war noch so klein, als Erika starb, erst fünf Jahre alt.
    »Mein liebes Kind, das Leben wurde einfach zu schwer für sie.«
    Gisela war zwölf, als sie Stina zum ersten Mal fragte, wie ihre Mutter gestorben war. Erika war zwei Monate lang in einer Psychiatrie gewesen, wegen einer Nervenschwäche, dann wurde sie entlassen und nach Hause geschickt, in eine leere Wohnung mit einem mageren, rotschuppigen, schreienden Baby, während Papa Greger wieder als Handelsreisender unterwegs war.
    Die Bilder aus diesem Teil ihres Lebens, bevor sie zu Tante Stina und Onkel Kaj zog, waren rar und undeutlich. Eine Küche mit schwarz-weißem Boden und hellgrünen Wänden.
    Eine Erinnerung war klarer als alle anderen. Eine Erinnerung, die sich nicht vertreiben ließ.
    In der Küche roch es nach gebratenem Speck, auf dem dunkelgrünen Herd kochten Kartoffeln in einem Topf. Sie war schrecklich hungrig, so hungrig, dass sie Bauchkrämpfe hatte, aber niemand war in der Nähe, sie nahm also an, dass es noch eine Weile dauern würde mit dem Essen.
    Draußen vor dem Küchenfenster schrien die Möwen. Ihre Mutter hatte gesagt, sie klängen genauso falsch wie Tante Stinas schrilles Lachen. Gisela wusste, dass ihre Mutter die Schwester nicht leiden konnte. Spürte es an der dicken Luft, die herrschte, wenn sie Tante Stina und Onkel Kaj besuchten. Gisela ging zum Fenster und schaute nach den Vögeln. Ihre Mutter
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