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Häschen in der Grube: Roman (German Edition)

Häschen in der Grube: Roman (German Edition)

Titel: Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Sveland
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Erregung.
    Ich könnte ewig hier stehen bleiben.
    Sie wankte und verlor für einen Moment das Gleichgewicht, da packte Julia sie an der Hand und fing an zu laufen. Wenn Julia etwas konnte, dann war es laufen. Den ganzen Sommer über waren sie zu Emma gelaufen, zum Baum, in den Supermarkt, zum Park, überall hin. Der Schweiß lief ihnen über das Gesicht, und wenn sie dann zu Julia nach Hause kamen, empfing Julias Mutters sie mit sorgfältig geschminktem, erschrockenem Gesicht.
    »Was soll denn dieses Gerenne, Julia, bist du nicht ein bisschen zu alt dafür?«, sagte Gisela dann, wenn sie sich ganz außer Atem an den gedeckten Tisch setzten und Julia sich gierig eine große Portion Kartoffelbrei auftat.
    Julia ließ die Kritik ihrer Mutter wie immer an sich abtropfen. Sie war so sehr an Giselas Kommentare gewöhnt. Ein unendlicher Strom von Bemerkungen und milden Zurechtweisungen bekräftigten ein rumorendes Gefühl: Sie war einfach anders.
    »Papas Tochter!«, sagte Gisela immer, eine Aussage, die Julia ärgerte, sie war weder wie ihr Vater noch wie ihre Mutter, und das war noch nie anders gewesen. Die Eltern hatten sie noch nie verstanden, und Julia wusste auch nicht, wer sie hinter den kontrollierten Gesichtern eigentlich waren. Sie waren nur zufällig der gleichen Familie zugeteilt worden, eine Mannschaft, ein Team, in einem großen gelben Haus, wo sie irgendwie zusammenleben mussten. Aber Julia wusste, dass sie sich nie freiwillig füreinander entschieden hätten.
    In den dunkelsten Stunden im Zimmer mit den großblumigen Tapeten fantasierte Julia manchmal. Nachmittags, auf dem Bett, das einen Überwurf im gleichen blaugeblümten Muster wie die Tapete hatte, wenn die Staubkörner im Sonnenlicht tanzten. Dass sie bei einem Autounfall umkamen. Der Unfall verlief schnell und schmerzlos, sie merkten kaum, dass sie starben. Sie fuhren einfach in einen entgegenkommenden Lastwagen, der ihr Auto zu einem einzigen Haufen aus Blech und Fleisch zermatschte.
    Sie standen einander verständnislos gegenüber, Julia und Gisela. Eine Fremdheit, die schützte.
    Deshalb perlte die Kritik ihrer Mutter an ihr ab, sie konnte weiterlaufen, stolz wie eine Antilope, dass der Schweiß nur so tropfte. Deshalb konnte sie ihr diese neue Erfahrung nicht nehmen, dass sie eine andere Julia war, wenn sie lief. Eine Julia, die sie viel lieber mochte. Die laufende Julia war stark und schnell und hatte lauter Einfälle, während die alte meistens die Regeln der anderen befolgte.
    Das gleiche vertraute Gefühl hatte sie auch, als sie jetzt Hand in Hand mit Emma auf dem Schotterweg lief. Sie drehte sich um und sah, dass der Mann auch lief. Mit ungelenken Schritten, von denen eigentlich keine Gefahr ausging, außer durch den Wahnsinn, dass er sie wirklich jagen wollte. Aber da waren sie schon ganz nah an der Stelle, wo der Schotterweg abbog. Hinter der Kurve waren es nur noch ein paar Meter bis zu dem kleinen Trampelpfad, der zu ihrem Baum führte, durch Farne und Blaubeerbüsche.
    Der Weg war durch den vielen Sonnenschein der letzten Wochen ganz trocken geworden, der Staub wirbelte jetzt um ihre Füße, die Farne schlugen gegen die nackten Schienbeine. Julia war zuerst da, sie zog sich mit den Armen am untersten Ast hoch und stützte die Füße an der rauen Rinde ab. Emma half von unten nach und kletterte dann mithilfe von Julias ausgestreckter Hand nach oben. Der Baum war warm, aber das dichte Laubwerk spendete Schatten und diente als Versteck. Julia lehnte sich an den dicken Stamm, Emma saß ein bisschen weiter außen, wo eine Astgabel wie ein Sessel geformt war.
    »Kannst du ihn sehen?«
    Julia flüsterte.
    Emma reckte sich und spähte auf den Weg.
    »Nein … aber ich höre seine Schritte.«
    Sie lauschten, und dann hörten sie den Kies unter den schweren Schritten des Mannes knirschen. Er blieb stehen und sah sich suchend um. Einen Moment schaute er geradewegs in den Wald und zum Baum, aber als sie glaubten, er habe sie entdeckt, ließ er den Blick weiterwandern.
    »Mädchen! Wo seid ihr?«
    Seine Stimme war leise, mehr ein Flüstern.
    »Ich weiß, dass ihr irgendwo seid!«
    Er ging ein paar Schritte, blieb dann wieder stehen und spähte in den Wald.
    »Kommt raus und zeigt mir eure kleinen Fotzen! Fotzenmädchen!«
    Die Stimme war jetzt lauter, schrill und ärgerlich. Er schlug mit der Hand auf die Büsche am Wegrand. Julia und Emma schauten einander an und versuchten, das hysterische Lachen zu unterdrücken, das zwischen den Händen aus dem
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