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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein
Autoren: Andreas Winkelmann
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Sebastian die drei jungen Stuten auf der Weide nahe dem Hof stehen. Sie grasten mit gesenkten Köpfen, ihr Fell schimmerte wie Bronze und Kupfer. Links erhob sich das Wohnhaus auf der Kuppe des Hügels. Die tief stehende Sonne ließ die roten Klinker glühen wie heiße Kohlen. Wo die Straße durch den Zaun hindurchführte, ragten rechts und links drei Meter hohe, massive Holzpfähle auf, verbunden durch ein halbrundes Holzschild, auf dem Schneiderhof stand, umgeben von zwei Hufeisen. Sebastian fuhr darunter hindurch und parkte seinen Volvo neben den Land Rover seiner Eltern in dem offenen Schuppen.
    Wie jeden Abend kam Taifun ihn als Erster begrüßen. Sebastian kraulte dem Schäferhundrüden die Brust und ließ sich die Hand abschlecken. Auf dem Weg zum Haus winkte er seinem Vater zu, der auf dem alten Deutz saß und Mist zur Sammelstelle fuhr. Für eine andere Begrüßung war die Entfernung zu groß und das alte Ungetüm, von dem sein Vater sich niemals trennen würde, zu laut. Kaum hatte er die Haustür geöffnet, strömte ihm der Geruch des Abendessens entgegen. Es duftete nach Muskatnuss und Basilikum. Sebastian stellte seinen Koffer auf der Treppe ab, die ins Obergeschoss führte, und bemerkte einen
Brief auf der vierten Stufe, seiner Poststufe, ignorierte ihn aber.
    Mutter rumorte in der Küche. Er ging zu ihr und begrüßte sie.
    »Du siehst müde aus. Gab’s Ärger im Büro?«
    »Ärger? Nein, Ärger gab es nicht. War aber trotzdem ein anstrengender Tag.«
    Seine Mutter küsste seine Stirn, wofür er sich zu ihr hinabbeugen musste. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr war er größer als sie.
    »Mach dich ein wenig frisch, und erzähl uns beim Abendessen davon. In fünfzehn Minuten ist es fertig.«
    »Soll ich Edgar rufen?«
    »Nicht nötig. Er kommt sicher gleich rein.«
    Sebastian nickte und verließ die Küche. Seine Wohnung lag im Obergeschoss des Hauses. Für sich allein hatte er ebenso viele Zimmer zur Verfügung wie seine Eltern, wovon drei aber mit abgedeckten Möbeln zugestellt waren. Er nahm den Koffer, ließ den Brief erneut unbeachtet und ging hinauf. Im Bad spritzte er sich minutenlang kaltes Wasser ins Gesicht. Seine Haut war gerötet und taub, als er sich danach im Spiegel betrachtete. Genauso gerötet wie seine Augen. Sie erinnerten ihn an Trotzek. Nach dem kurzen Gespräch hatte er zwei Aspirin nehmen müssen, und davon wirkten seine Augen stets, als hätte er getrunken.
    Edgar saß bereits am Tisch, als Sebastian wenig später in Jeans und T-Shirt die Küche betrat. Sein Vater roch nach Stallmist und dem Dieselgestank des alten Deutz. Selbst der Duft des gerösteten Käses aus der großen Auflaufform, die Anna auf dem Tisch abstellte, kam gegen diese Mischung nicht an. Sebastian nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie und gab eine seinem Vater.

    »Du hast Ärger im Büro?«
    Edgars weißes Haar stand zu Berge, eine Rasur war mehr als überfällig.
    Sebastian schüttelte den Kopf. Für Anna bedeutete jede Abweichung von der normalen Routine Ärger. Was kaum verwunderlich war nach vierzig Jahren auf dem Hof, einer Insel der Ruhe in einer zunehmend hektischen Welt.
    »Keinen Ärger, aber einen neuen Fall.«
    »Was Besonderes?«
    Sebastian schob eine Gabel Auflauf in seinen Mund, kaute darauf herum und ließ sich Zeit. Ein zähes Stück Fleisch, auf dem er fünfzigmal hätte herumkauen können, wäre ihm in diesem Moment lieber gewesen.
    »Kann man sagen, ja. Mein erster Mordfall.«
    Annas Gabel sackte auf den Teller, sie starrte ihn an. Diese Reaktion hatte Sebastian erwartet und den beiden deshalb im Vorfeld nichts von Trotzek erzählt. Er hätte es auch jetzt noch gern für sich behalten, hätte dafür aber mit ihrer lieb gewonnenen Tradition, in diesem Haus über alles zu sprechen, brechen müssen. Das war ihm Trotzek nun auch nicht wert.
    »Du musst einen Mörder verteidigen?!«, fragte Anna schrill. »Du wolltest dich doch auf Vertragsrecht spezialisieren, was ist denn daraus geworden?«
    »Ich kann es mir nicht aussuchen, dafür bin ich zu kurz in der Kanzlei. Oltmanns will, dass ich diesen Fall übernehme.«
    »Was hat er getan?«, fragte Edgar.
    »Seinen Vater getötet.«
    Sebastian hätte noch anfügen können, wie Trotzek seinen Vater getötet hatte. Er hätte von dem Hammer und dem übel zugerichteten Körper erzählen können, den er
auf den viel zu genauen, viel zu detailreichen Tatortfotos gesehen hatte. Er ließ es. Sein Magen rebellierte, wenn er nur daran
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