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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
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seinen Kopf schwangen; ich musste bei dem Anblick an einen Löwen denken. Dann öffnete er die Plastikt ü te und holte etwas ans Licht, das Ähnlichkeit mit einer Stric k nadel hatte. Sie war etwa dreißig Zentimeter lang, sehr dünn und blitzte im Licht der Deckenleuchten auf. Statt der üblichen Holz- oder Kunststoffkugel am Ende hatte diese Nadel alle r dings einen feine, schwarze Schnitzerei als Abschluss.
    »Wollen doch mal sehen, was der Doktor für euch tun kann, hm?«
    Ich ging in die Hocke, um mich noch unsichtbarer zu machen. Meine Bedenken, ertappt zu werden, waren einer massiven Angst gewichen. Ich wusste sofort: W ürde der Kerl mich en t decken, hätte ich ein großes, böses Problem. Aber als er die fremdartige Nadel aus dem Beutel geholt hatte, war die Unb e haglichkeit, ein Beobachter wider Willen zu sein, zu einem G e fühl des Ausgeliefertseins ausgewachsen.
    Ich hatte richtig Schi ss .
    Der dunkle Mann begann zu summen. Ich konnte die Melodie nicht genau erkennen, zumal er zwischendurch kehlige Gerä u sche von sich gab ; e s klang ungefähr wie Nikita von Elton John.
    »Sooo ! «, sagte er. »Schön stillhalten.«
    Dann stach er die blitzende Nadel in den Oberschenkel des ihm am nächsten stehenden Mannes.
    Akupunktur?
    Dr. Dread stach die Nadel bis zum Anschlag in das Bein seines Patienten und summte. Ich verwarf meine Theorie augenblic k lich.
    Der Mann an der Wand rührte sich nicht; der Kerl mit den Dreads drehte den Schlangenkopf zwischen den Fingern und damit die Nadel im Oberschenkel. Keine Reaktion.
    »Hmmm … Fuck ! « Er zog die Nadel aus dem Bein, hielt sie gegen das Licht und betrachtete sie. Es sah aus, als würde er den Ölstand bei seinem Auto messen.
    Er wischte die Nadel allerdings nicht ab, sondern warf sie ei n fach wieder in die Plastiktüte.
    Aus der Wunde kam kein Blut.
    Wenn der Kerl mit Bob Marleys Frisur ein Arzt war, ging er ziemlich rüde zur Sache. Und Ärzte trugen ihre medizinischen Utensilien nicht in Plastikbeuteln mit sich herum, oder? Und Nadeln mit Schnitzereien? Was war damit? Was war mit dieser Nadel?
    Die Tür links von mir kreischte protestierend, als sie über den asphaltierten Boden kratzte, und mein Herz setzte fast aus.
    Der Chef der Tankstelle trat in die Halle. Ich presste mich mit klopfendem Herzen in die Reinigungsbürste. Das hatte mir jetzt noch gefehlt!
    Ich hörte ihn schwer atmen . D as bedeutete, dass er sehr, sehr nah bei mir war. Ich lauschte auf seine Atemzüge, während mich das durch meinen Körper jagende Adrenalin zittern ließ. Ich war auf einmal völlig klar; das Gefühl, betrunken zu sein, hatte sich verflüchtigt.
    Dann entfernten sich seine Schritte. Ich spähte durch das grüne Gewusel der Bürste . W eniger, um ihn zu beobachten, als um festzustellen, ob er weit genug weg war. Der Grauhaarige hatte die Stahltür offen gelassen … M it viel Glück k o nnte ich es schaffen …
    Wenige Sekunden später sah ich ihn wieder: Der Chef des Hauses schlenderte auf den Mann mit der Nadel zu.
    Er hielt eine Flasche Desperados in der Hand und machte e i nen entspannten Eindruck.
    »Ah . Du bist ja schon da.« Er wies mit der Bierflasche auf die Jungs an der Wand. »Die sind alle nicht zu gebrauchen.«
    »Kann ich was dafür, hm?«, fragte der Kerl mit den Rastas, ohne ihn anzusehen.
    »Wer ist denn hier der Mann fürs S pezielle? Ich oder Du?«
    »Die sind irgendwie nicht in Ordnung . D er hier«, der dunkle Mann wies auf den Jungen mit dem punktierten Bein, »macht’s nicht mehr allzu lang. Er ist vielleicht bei fünfzehn, zwanzig Schlägen in der Minute. Der kackt dir ab. Überleg dir schon mal was.«
    »Hör mal, Sportsfreund. Ich kann nicht noch einen wegscha f fen.« Der Chef wirkte verärgert.
    »Das ist wohl nicht mein Problem. Ich besorge die Arbeiter, hast du gesagt. Mach du, dass sie ruhig sind, hast du gesagt. Und? Sind sie, oder?«
    »Ja , a llerdings . «, sagte der Grauhaarige. »Vielleicht etwas zu ruhig, was?«
    Der Rastamann grunzte.
    »Die Mischung ist vielleicht zu hoch. Die Typen, die du au f treibst, sind alle zu mager oder Junkies oder Alkis. Wie soll ich mit so ’ ner Scheiße arbeiten?«, fragte er.
    »Soll ich Hochschul -Absolventen nehmen, oder was? Ich ne h me, was ich kriege: Stricher, Penner, Ausreißer . Punkt. Habe keine Lust, das s mir die Kripo hier reinspaziert, Franco. Und verdammt: D ann ändere die Mischung, okay?«
    Der Chef war offensichtlich schon lange nicht mehr gew o hnt, kritisiert zu werden.
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