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Haben Sie das von Georgia gehoert

Haben Sie das von Georgia gehoert

Titel: Haben Sie das von Georgia gehoert
Autoren: Mark Childress
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Schönheit«, fragte er, »diese grünen Schößlinge der Hoffnung, die aus der trockenen Steinwüste unseres Alltags heraufsprießen?«
    Georgia antwortete mit ihrem strahlendsten Lächeln.
    Sein Blick flüchtete vor ihr, flink wie ein Fisch, der mit dem Haken davonflitzt, und glitt über die Köpfe der Gemeinde hinweg bis zu den rundlichen Schultern seiner Frau Brenda in der zweiten Bank. Aufgereiht neben Brenda saßen die vier kleinen Hendrix-Mädchen, zwei bis zehn Jahre alte Orgelpfeifen von tadelloser Haltung wie ihre Mutter und in Rüschenkleidchen aus dem »American Girl«-Katalog. Brenda Hendrix’ schellackglänzende, Clairol-blonde Bauschfrisur war so makellos und steif, dass Georgia gern eine Münze dagegen geworfen hätte, um das plink zu hören, wenn sie davon abprallte.
    Eugene machte seiner Frau Kuhaugen, sodass die Gemeinde denken konnte, Brenda sei der grüne Schößling der Hoffnung in seinem Leben. Nur Georgia wusste, wen er in Wirklichkeit meinte.
    »Die liebevolle Umarmung einer Familie ist ein Ort, wo man diese grünen Schößlinge gut finden kann«, sagte er. »Aber die Liebe der Familie, die Liebe unserer Kinder, ja, selbst die eheliche Liebe kann nicht unser einziger Trost sein. Wir müssen uns dem Herrn zuwenden. Er will, dass wir unser sündiges Dasein aufgeben und nach einem gottgefälligen Leben streben. Aber tun wir das? Nein. Wir sündigen
immer weiter, nicht wahr? Und jeden Tag müssen wir Gott von Neuem bitten, uns zu vergeben.«
    Herrgott noch mal, Eugene, warum erzählst du es nicht gleich der ganzen Welt? Der Gedanke hallte so machtvoll durch Georgias Kopf, dass sie einen Moment lang dachte, sie habe laut gesprochen.
    Das marineblaue Kleid bei Belk’s im Schaufenster hatte eine schmalere Taille und einen tieferen Ausschnitt, als es sonst Georgias Stil entsprach. Aber zumindest konnte sie sich mit ihrem Körper so etwas leisten. Anders als Brenda Hendrix, die eine Figur wie eine Campbell’s-Suppendose hatte.
    Wenn Eugene samstagabends vorbeikam, wollte er entschieden nicht über Brenda sprechen. Wenn man ihn erst einmal aus dem Predigeranzug gepellt hatte, war der Samstagabend-Eugene ein Flirter und ein großer alter Schäker. Ein Süßholzraspler, ein Charmeur. Sexy sah er aus, so hingestreckt auf dem Vier-Pfosten-Bett in seinen schwarzseidenen Boxershorts, die Georgia ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Natürlich trug er sie nur bei Georgia. Sie verwahrte sie unter der Woche in einer der sieben Schubladen ihrer Kommode.
    Gestern Abend war er da und doch nicht da gewesen. Er hatte an die Wand gestarrt oder ins Leere. Georgia hatte wissen wollen, woran er denke. Er zerbreche sich den Kopfüber die Predigt für heute, hatte er gesagt, und versuche, die einzelnen Teile zusammenzufügen.
    Es war traurig zu sehen, wie hart Eugene an seinen Predigten arbeitete. Würden die Leute besser aufpassen, wenn sie wüssten, wie sehr er sich mit jedem Satz plagte? Würden sie dann wenigstens versuchen, nicht einzuschlafen?
    Aber man konnte Eugenes Stimme nicht hören, ohne in
diese angenehme Trance zu verfallen, die dazu führen konnte … wenn man nicht … aufrecht saß und …
    Georgia kniff sich kräftig in den Oberschenkel. Sie blinzelte und richtete sich auf.
    »Nehmt mich als Beispiel«, sagte Eugene gerade. »Wenn ihr jemanden sehen wollt, der einen falschen Weg eingeschlagen hat, Brüder und Schwestern, dann seht mich gut an.«
    Georgia war plötzlich hellwach.
    Während sie gedöst hatte, war Eugene irgendwie aus seiner Predigt hinaus – und an den Rand einer Katastrophe geschlittert.
    Eine Warnglocke schrillte in ihrem Ohr. Alles, was er zu beichten hatte, musste doch auch sie einschließen, oder?
    Gestern Abend – er hatte sich an sie geklammert, als es schon längst Zeit zum Gehen war. Er hatte sie an sich gezogen und sich unter der Bettdecke an sie gekuschelt, wo der arktische Sturm aus der Klimaanlage unter dem Fenster nicht hinreichte.
    Dann hatte er eine Frage beantwortet, die sie gar nicht gestellt hatte. »Nein«, hatte er gesagt und seine Füße um ihre Fußknöchel gehakt. »Das hier ist perfekt, genau hier.«
    Jetzt starrte er von der Kanzel herunter, seine Finger umklammerten den Rand der Brüstung, und hinter der John-Lennon-Brille war eine wütende Schlacht im Gange.
    Georgia hatte diesen Blick schon in den Augen anderer Männer gesehen. Gelegentlich verlor einer von ihnen den Verstand, verliebte sich auf lachhafte Weise in sie und beschloss, sein ganzes Leben
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