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Gudrun Pausewang

Gudrun Pausewang

Titel: Gudrun Pausewang
Autoren: Hermann Vinke
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Atmosphäre ist eingeschränkt, die Medien haben die Tendenz, die typischen Eigenarten der einzelnen Provinzen zu nivellieren, die Bevölkerung ist sehr viel mobiler geworden, die Suche nach einer Arbeitsstelle bewirkt, dass öfter umgezogen wird. Für Goethe war seine Heimat »dort, wo edle Menschen sind«. Für Karl Jaspers »ist meine Heimat dort, wo ich verstehe und verstanden werde«. Für die Vertriebenen wäre dann der Ort, aus dem sie vertrieben wurden, nicht mehr ihre Heimat. Denn dort leben jetzt Menschen mit einer anderen Sprache. Die ehemals Vertriebenen verstehen sie nicht und werden auch nicht von ihnen verstanden. Seit 1982 lebe ich nun in Schlitz und liebe das beschauliche Fachwerkstädtchen. Aber den Begriff »Heimat« vermeide ich in diesem Zusammenhan g – genau so, wie ich ihn an allen anderen Orten, in denen ich bisher gewohnt habe, zu vermeiden bemüht war. Heimat ist nach meinem Dafürhalten ein Begriff, der in die Vergangenheit gehört, als man meistens sein Leben lang im selben Ort oder in derselben Gegend lebte, denselben Dialekt sprach, mit seinen Verwandten ständig in Kontakt stand und kein Fernseher existierte, der im ganzen Land dieselben Kanäle mit denselben Programmen anbietet. Vielleicht kann man als »Heimat« die Atmosphäre bezeichnen, die sich jeder Einzelne schafft, um sich darin wohlzufühlen.
    Was verbindet Sie noch mit dem Ort Wichstadtl?
    G P – Der Verlauf des Horizonts, den ich sehe, wenn ich aus dem ehemaligen Haus meiner Eltern schaue, ist mir noch jetzt vertraut. Mehr Heimatgefühle im Zusammenhang mit damals kommen mir nicht mehr, wenn ich dort bin. Wohl aber haben sich auf meinen zahlreichen Reisen nach Wichstadtl neue vertraute Gefühle entwickelt: Ich habe sehr sympathische tschechische Menschen und hübsche neue Häuser und Gasthöfe kennen gelernt, bekam gezeigt, dass sich die Landwirtschaft im Adlergebirge sehr zum Positiven geändert hat, erkannte, dass sich die nach 1945 anfangs ganz durcheinandergewürfelte Bewohnerschaft des Dorfes inzwischen vernetzt hat zu einer Gemeinde, die zusammengewachsen ist und sich hier zu Hause fühlt.
    Als Schriftstellerin behandeln Sie fast alle wichtigen Themen der Nachkriegszeit, vom Rechtsextremismus über Armut in der Dritten Welt, über die Gefahr eines Atomkriegs bis zur Umweltzerstörung. Wegen der Schwere und der Ernsthaftigkeit Ihrer Themen nannte ein Kritiker Sie »Lehrerin der Angst«. Wie sehen Sie selber Ihre Rolle als Schriftstellerin in einer Gesellschaft, in der junge Menschen oftmals mehr an Ablenkung und Spaß als an einer ernsthaften Auseinandersetzung interessiert sind?
    G P – Wer mich als »Lehrerin der Angst« bezeichnet, hat mich gründlich missverstanden. Ich versuche immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir Angst nicht verteufeln dürfen. Denn die Natur hat sie uns mit auf den Weg gegeben als eine Möglichkeit, uns vor Gefahren zu warnen. Gäbe es keine Angst, gäbe es die Gattung Mensch nicht mehr!
    Nicht alle meine Bücher sind ernst. Ich habe auch sehr heitere Geschichten geschrieben. Humor ist mir sehr wichtig. Mit Büchern wie Die letzten Kinder von Schewenborn, Die Wolke oder Der Schlund versuche ich, vor Gefahren zu warnen. Ich wünsche mir, dass der Leser durch die Lektüre meines Buches zu der Frage findet, die er sich selber stellt: »Wie kann ich im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten aktiv dazu beitragen, dass das, was hier fiktiv geschildert wurde, nie Realität wird?« Solche Bücher geben nicht nur Denkanstöße, sondern regen auch zum Handeln an.
    Was vielleicht einer der Gründe meines Erfolges ausmacht, ist dies: Ich nehme meine Leser ernst, egal ob sie 6, 16 oder 6 0 Jahre alt sind. Das merken die Leser und nehmen meinen Text auch ernst. Außerdem verstecke ich mich auch nicht gegenüber meinen Lesern. Meine Telefonnummer steht im Telefonbuch. Man kann sie und auch meine Adresse jederzeit aus der Auskunft erfahren. Ich beantworte alle Post, wenn sie einen Absender trägt. Denn mir ist bewusst: Was ist ein Schriftsteller ohne Leser?
    Ja, ich lebe zurzeit in einer »Spaßgesellschaft«. Sie ist eine Reaktion auf die Zeit der Friedensbewegung, die Sorge um unsere Umwelt und den 11 . September 2001. Aber jedes Pendel bewegt sich von einem Extrem ins andere. So wird dem Vergnügen an Traum-, Phantasie- und Spielwelten wieder eine reale Welt folgen, in der die nächste, spätestens die übernächste Generation eine ganz politische sein wird. Ich erwarte sie mit großer
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