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Gudrun Pausewang

Gudrun Pausewang

Titel: Gudrun Pausewang
Autoren: Hermann Vinke
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»Ich bin nicht mitschuldig.«
    Hitlers Selbstmord Ende 194 5 – wann haben Sie davon erfahren und wie haben Sie reagiert?
    G P – Da die russische Armee erst unmittelbar nach dem Waffenstillstan d – also am 9 . Mai 194 5 – einzog, konnten wir bis zum Kriegsende noch deutsche Radiosender hören. Die Nachricht von Hitlers Tod erfuhr ich also am 30 . April oder 1 . Mai 1945 aus dem Radio. Ich kann mich gut erinnern, dass ich damals mit meinen gerade mal 1 7 Jahren jämmerlich weinte. Eine Welt ohne Hitler konnte ich mir nicht vorstellen!
    Frau Pausewang, Sie zählen zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Bundesrepublik. Liegt im Umgang mit der jüngsten deutschen Geschichte der Schlüssel für Ihr gesamtes literarisches Schaffen?
    G P – Zu Beginn meiner schriftstellerischen Tätigkeit, die während meines Aufenthaltes in Südamerika begann, beschäftigte ich mich vor allem mit dem Elend der Armen. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist es das Phänomen Nationalsozialismus. Und ich glaube, dass mich dieses Thema auch weiterhin beschäftigen wird. Selbstverständlich behandele ich in meinen Büchern auch andere Themen, schreibe auch heitere Bücher. Aber die Themen, die mit meinem Leben eng in Verbindung stehen, reizen mich immer wieder. Vor allem bemühe ich mich, vor Gefahren zu warnen. So auch vor der Gefahr eines menschenverachtenden Nationalsozialismus, einer NS-Diktatur!
    Hat das Schreiben über die Vergangenheit auch eine therapeutische Wirkung gehab t – in dem Sinne, dass es Ihnen geholfen hat?
    G P – In dem Sinn, dass man sich »etwas von der Seele« schreibt, sicher. Natürlich habe ich bei meinen Recherche n – zum Beispiel für mein Buch Die Kinder- und Jugendliteratur des Nationalsozialismus als Instrument ideologischer Beeinflussung, das ich 2005 im Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main unter meinem Passnamen Gudrun Wilcke herausga b – auch viel Einblick in das System des Nationalsozialismus bekommen. Dieser erweiterte Einblick hat mein Bestreben, die heutige Jugend vor den Gefahren eines Nationalsozialismus zu warnen, noch verstärkt.
    Die Grenzfragen mit den osteuropäischen Nachbarn sind geregelt. Dennoch gibt es aus den Reihen der Vertriebenen Besitzansprüche und Forderungen nach Wiedergutmachung. Was steckt dahinter?
    G P – Ich kann nur immer wiederholen, dass ich nicht zu denen gehöre, die sich Vergeltung wünschen und sich mit Aufrechnung der Schuld beschäftigen. Mein Motto ist: Brücken über Gräber und Gräben bauen, ein gutnachbarliches Verhältnis zwischen den Völkern schaffen, in Frieden und Freundschaft miteinander leben. Deshalb begrüße ich zum Beispiel auch einen Schüleraustausch zwischen Deutschland und Tschechien oder Deutschland und Polen.
    Sie haben sich schon früh kritisch mit der Vertreibung befasst. Aber erst seit einigen Jahren findet eine breitere Auseinandersetzung damit statt. Warum so spät?
    G P – Der Nationalsozialismus, die Vertreibungen, der Verlust der Heimat, der Krieg: Alle diese von Menschen gemachten Katastrophen der jüngsten Geschichte haben schmerzhafte Wunden gerissen, die erst vernarben mussten, bevor man sich traute, an sie zu rühren. Eine Vernarbung kostet Zeit, dauert Jahre. Das spürte ich in meinem Leben auch: Ich hätte nicht schon 1950 über den Nationalsozialismus oder die Vertreibung schreiben können! Jetzt sind die Enkel der damaligen Erwachsenengeneration die Hauptmanager des Zeitgeistes, so auch auf dem Gebiet der Politik. Sie kennen Krieg und Vertreibung nur noch aus den Erzählungen ihrer Großeltern, haben also den nötigen inneren Abstand, um die damaligen Geschehnisse mehr oder minder objektiv zu sehen. Den Schmerz um die Verluste in jener Zeit können sie bestenfalls nur nachempfinden. Außerdem herrscht jetzt eine ganz andere Einstellung zur Politik. Die Enkel der Vertriebenen fühlen sich mehrheitlich in erster Linie als Europäer, erst danach als Deutsch e – gleichgültig, wie sie die Europäische Union beurteilen. Das heißt, dass der Nationalismus heute längst nicht mehr die Wichtigkeit besitzt wie damals in den Dreißiger- und Vierzigerjahren. Diese Entwicklung begrüße ich!
    Was verbinden Sie mit dem Begriff »Heimat« ? Ist das Städtchen Schlitz Ihre Heimat geworden?
    G P – Ich nehme das Wort »Heimat« nicht gern in den Mund. Dieser Begriff ist inflationär. Außerdem spielt er heutzutage eine längst nicht mehr so wichtige Rolle wie noch zur Zeit meiner Jugend, ebenso der Dialekt. Die bäuerliche
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