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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
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selbst. Als Kapitän auf Handelsschiffen hatte er nie viel Zeit zu Hause verbracht. So war unser Verhältnis immer ein gutes gewesen, schließlich mischte er sich, wann immer er zu Hause war, nicht in die Erziehung ein – die war Sache meiner Mutter.
    »Was uns wohl erwartet?«, fragte ich ihn.
    »Keine Ahnung.«
    »Kannst du dich noch an deine Verwandtschaft erinnern, die in Indien geblieben ist?«
    Mein Vater schüttelte den Kopf. Er wollte gerade etwas dazu sagen, als zwei betrunkene Inder durch den Gang torkelten und sich grölend nur zwei Sitze neben uns auf die letzten freien Plätze setzten. Sofort begannen sie, Passagiere zu belästigen, sie bedrängten die Stewardessen, machten anzügliche Bemerkungen.
    »Und mit denen sollen wir es jetzt die nächsten Stunden aushalten?«, fragte mich mein Vater leise.
    »Ich hoffe nicht. Vielleicht schlafen sie ja gleich ein. Oder jemand schmeißt sie aus dem Flugzeug.«
    Einer der beiden hörte mich. »He, du! Warte, bis wir in Neu-Delhi sind, da mach ich dich fertig!«, rief er auf Hindi. Ich tat so, als würde ich ihn nicht verstehen. Er wiederholte seine Drohung auf Deutsch.
    Die Crew war ratlos. Die Flugbegleiter begannen zu diskutieren und baten den Piloten, noch nicht zu starten. So standen wir da und hatten schon in Frankfurt indisches Flair um uns herum. Es wurde ewig hin und her diskutiert, niemand von der Besatzung fühlte sich so richtig verantwortlich. Manche Passagiere verlangten, dass die beiden sofort das Flugzeug verlassen müssten, vor allem eine Italienerin, die neben den Männern saß und die Beleidigungen nicht mehr ertragen wollte. Ein paar Leute aus dem indischen Bundesstaat Punjab setzten sich für die beiden Männer aus ihrer Heimatregion ein, obwohl sie sie nicht persönlich kannten.
    »Das sind nur harmlose Betrunkene, die tun doch nichts«, sagte einer. Er tauschte seinen Sitzplatz mit der Italienerin.
    Die Maschine begann zur Startbahn zu rollen.
    Die beiden Rüpel wurden immer unverschämter. Sie gaben derbe Flüche auf Hindi zum Besten. Mir fiel wieder auf, wie gut es sich in dieser Sprache schimpfen lässt.
    Als eine Stewardess zu weinen anfing, weil einer der Betrunkenen ihr an die Brust gefasst und sie als Hure beschimpft hatte, mischten sich noch mehr Passagiere in die Debatte ein. Jetzt wurde es dem Piloten, der den Jumbojet gerade zur Startbahn lenkte, zu viel. Er stoppte das Flugzeug, und ein paar Minuten später stürmten sechs Polizisten die Maschine. Die zwei Typen gaben sich plötzlich ganz brav, weigerten sich aber, das Flugzeug freiwillig zu verlassen. Die Beamten zerrten sie aus den Sitzen und trugen sie nach draußen.
    »Gott sei Dank«, meinte mein Vater.
    Bis das Gepäck der beiden Männer ausgeladen war, dauerte es. Mit vier Stunden Verspätung begann unsere Reise.
    Der Vorfall mit den Betrunkenen und die Warterei hatten uns müde gemacht. Schlafen konnten wir aber nicht, dazu waren wir viel zu aufgeregt. Mein Vater saß da, guckte aus dem Fenster und war in Gedanken versunken.
    Woran er wohl dachte? Würde er in Indien von nostalgischen Gefühlen überwältigt werden? Von der Erkenntnis: Das also hätte meine Heimat sein können, das ist der Preis, den meine Eltern für ein Leben im neuen Staat Pakistan bezahlt haben? Hat es am Ende Sinn gemacht, Verwandte zurückzulassen, die Familie zu spalten?
    Kaum hatte das Flugzeug in Richtung Neu-Delhi abgehoben, holte mein Vater sein Notizbuch aus der Tasche, das er sich für diese Reise zugelegt hatte. Er begann, den Grundriss des Hauses in Lucknow aufzuzeichnen, in dem er seine Kindheit verbracht hatte.
    Er malte ein großes Viereck und in die Mitte ein Quadrat. So also hatte er das Haus in Erinnerung, das er 1947 zum letzten Mal gesehen hatte: ein riesiges, weiß getünchtes Gebäude mit einem großzügigen Innenhof. Ein Haus, das seine Urgroßeltern 1901 gekauft hatten. Es lag mitten in Lucknow, der heutigen Hauptstadt des größten indischen Bundesstaates Uttar Pradesh im Norden des Landes, damals das Zentrum der urdu-sprachigen Poesie und, selbst Jahrhunderte nach dem Ende der Mogulherrschaft, des höfischen Lebensstils. Die gesamte Großfamilie mitsamt Dienerschaft fand in dem Gebäude Platz – Köche, Küchenhilfen, Gärtner, Reinigungspersonal.
    »Durch ein großes Tor, den Haupteingang, kam man in den Innenhof und von dort zu allen Teilen der Anlage.«
    In eine Ecke des Hofes zeichnete er einen Brunnen, daneben einen Baum. »Von dort holten wir das Wasser, das wir für
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