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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
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dazwischen Motorroller mit fünfköpfigen Familien darauf, alle ohne Helm, Fahrradfahrer, Rikschafahrer, Fußgänger, Pferde- und Eselskarren, Kühe. Mehr als die Umgebung beobachtete ich meinen Vater. Ob er sich noch an diese Stadt erinnerte? Und ob er etwas wiedererkannte?
    Er ertappte mich bei meinen Gedanken.
    »Sieht alles sehr anders aus. Sehr anders«, sagte er mehr zu sich als zu mir.
    Und dann standen wir vor dem Afzal Mahal, ich zum ersten Mal, mein Vater wieder nach sechzig Jahren. Was er wohl empfand? Es muss ein merkwürdiges Gefühl sein, nach so langer Abwesenheit wieder an jenen Ort zu kommen, wo man die ersten Jahre seiner Kindheit verbracht hat. Mein Vater ließ sich nichts anmerken. Er schwieg, ging ein bisschen umher, schaute sich aufmerksam um.
    Das Tor, der Innenhof, der Brunnen, ein Sternfruchtbaum – jetzt sah ich mit eigenen Augen, was mein Vater im Flugzeug beschrieben hatte. Die Straße war inzwischen zu einer Hauptverkehrsader geworden, überall hatten Geschäfte eröffnet. Auch im zur Straße gelegenen Teil des Afzal Mahal waren zwei Läden untergebracht, in einem wurden Kosmetika und Spielzeug angeboten, in dem anderen, das sich »Möbelgeschäft« nannte, gab es Stühle und Tische aus Plastik. Die Verwandten hatten die Räume also gut vermietet. Im Innenhof, dem Wohnbereich, waren ein paar neue Anbauten entstanden. Der Brunnen lag seit vielen Jahren trocken, es gab ja mittlerweile fließendes Wasser. Mein Vater schritt den Innenhof langsam ab und betrachtete jede einzelne Ecke.
    Mein Vater vor dem Afzal Mahal

    »Die Stadt hat sich sehr verändert, aber das hier, das erkenne ich wieder. Das ist mein Zuhause.«
    Als Kind hatte ich ihn, wie wohl jedes Kind seinen Vater, als den größten, stärksten, besten Vater der Welt bewundert. Jetzt sah ich in ihm das Kind, jenen kleinen Jungen, der Wasser aus dem Brunnen holte, der draußen mit seinen Freunden spielte und abends nicht ins Bett wollte. Ich stelle es mir schön vor, damals im Afzal Mahal in Lucknow.
    Nach und nach sprach sich unsere Ankunft herum. Alle Verwandten kamen aus ihren Wohnbereichen, umarmten uns und hießen uns willkommen. Wir waren überwältigt von der Freundlichkeit dieser Menschen. Problematisch war nur, alle Namen im Kopf zu behalten – im Afzal Mahal leben an die vierzig Menschen. Die älteste Cousine meines Vaters, Mahetalat, führte uns durch das Gebäude, stellte uns noch einmal alle Bewohner vor und zeig- te uns den gerade renovierten, blau-gold gestrichenen Schrein. Davor standen vier
Charpoys
, mit Bast bespannte Bettgestelle, auf denen sie und ihre drei Schwestern schliefen.
    Das Wohnzimmer im Afzal Mahal

    Mahetalat ist so etwas wie das Oberhaupt der Familie im Afzal Mahal. Sie und ihre Schwestern leben hier mit den zwei nachfolgenden Generationen.
    »Der Baum ernährt uns noch immer«, sagte Mahetalat, als sie sah, wie mein Vater vor dem knorrigen Sternfruchtbaum verharrte. Sie rief einen Bediensteten und ließ ihn mit einem Besenstiel eine Sternfrucht von einem hohen Ast abbrechen, trug das Obst in die Küche, schnitt es in Scheiben und streute grobkörnigen Zucker darauf.
    »Hier, schmeckt sehr gut und enthält viele Vitamine.« Mein Vater nahm ein Stück und biss ab. Er verzog das Gesicht. »Sauer wie immer«, meinte er. Mahetalat lachte.
    Sie war die Einzige im Afzal Mahal, die meinen Vater schon mal gesehen hatte – kurz vor dessen Flucht. Allerdings konnte er sich an die ein paar Jahre Ältere nicht mehr erinnern.
    »Wie war mein Vater als Kind?«, fragte ich sie ein paar Tage später, nachdem wir uns besser kennengelernt hatten. »Wie war er damals?«
    Sie überlegte.
    »Über den Charakter deines Vaters kann ich nichts sagen. An seine beiden älteren Brüder erinnere ich mich genauer, der eine sehr lebhaft und frech, der andere ruhig und zurückhaltend. Aber dein Vater war Mitte der Vierzigerjahre noch zu klein, als dass man hätte sagen können: Er ist so oder so.«
    Nach einer Pause ergänzte sie: »Es ist wohl ganz gut, dass er noch so klein war in dieser schrecklichen Zeit.«
***

    An allem war der Pfeffer schuld. Die Niederländer, die den Gewürzhandel kontrollierten, hatten im ausgehenden 16. Jahrhundert die Preise für die schwarzen Körner angehoben. Britannien, eine Großmacht im Werden, wollte sich diesem Preisdiktat nicht beugen. Nach ihrer Ansicht hatten die Niederländer zu viel Macht in Indien, ebenso wie die Kolonialmächte Frankreich und Portugal, die sich dort eifrig
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