Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
Vom Netzwerk:
beschreibt das Leben in einem Dorf im Punjab: Muslime und Sikhs leben dort friedlich nebeneinander – bis an einem Tag im Jahr 1947 ein Zug im Dorf hält, Leichen von ermordeten Sikhs bis zur Decke der Waggons gestapelt. Von dem Tag an zählt nur noch, wer welcher Religion angehört. Aus Freunden werden Todfeinde. In einer Vorbemerkung schreibt er:
»Tatsache ist, dass beide Seiten mordeten. Beide Seiten schossen und stachen zu und spießten auf und prügelten. Beide Seiten folterten. Beide Seiten vergewaltigten. Im Sommer 1949 waren zehn Millionen Menschen – Muslime und Hindus und Sikhs – in Kämpfe verwickelt. Fast eine Million von ihnen ließ ihr Leben.«
Manche Historiker sprechen sogar von zwei Millionen Toten. Singh, selbst ein Sikh, hatte seine Heimat, die nach der Grenzziehung plötzlich im pakistanischen Teil des Punjab lag, verlassen müssen und war nach Indien geflohen.
    Fast jede Familie in Indien, Pakistan und Bangladesch, das 1947 noch zu Pakistan gehörte, teilt ihre Familiengeschichte in »vor der Teilung« und »nach der Teilung« ein. Viele Familien haben auf der jeweils anderen Seite der Grenze Angehörige.
    »Wie soll es je Frieden geben, wenn man ein Haus teilt?«, meinte Mahetalat, wenn sie über Indien und Pakistan sprach. Über den ewigen Streit um die Provinz Kaschmir, die zum größten Teil zu Indien gehört, die Pakistan aber gänzlich beansprucht, sagte sie: »Wenn man einen Knochen zwischen zwei Hunde wirft, was will man da erwarten?«
    Mein Vater erinnert sich kaum an die schrecklichen Bilder vor dem Afzal Mahal, er war damals noch zu klein und die Erwachsenen wussten zu verhindern, dass er Schlimmes sah. Er sagt heute, er habe eine schöne Kindheit in Lucknow gehabt. An seinen Geburtsort Lakhimpur erinnert nur noch der Eintrag in seinem Reisepass, ihn selbst verbindet mit dieser heute riesigen, staubigen Stadt nichts mehr. Von Lucknow hingegen erzählt er gern. Er berichtet zum Beispiel von dem Mann, der jeden Tag mit einem Wagen – einer einfachen Holzplatte mit vier großen Holzrädern – am Afzal Mahal vorbeikam. Auf dem Wagen lagen Berge an Süßigkeiten: zuckriges Zeug aus
Khoja
, einer Milchmasse, honigklebrige Sesamplatten, heiße, schmerzhaft süße und doch unwiderstehliche Teigkringel,
Jalebi
genannt, und
Gajak
, Klumpen aus blättrigem Rohrzucker. Mein Vater liebte diese Sachen.
    »Deine Großeltern, Afsar Begum und ihr Mann Kazim Ali Khan, waren wohlhabend«, erzählte Mahetalat. »Sie kauften ihren Kindern häufig Süßigkeiten. Aber der Hunger deines Vaters war unbändig, obwohl er ein so dünnes Bürschchen war. Eines Tages nahm er sich einfach Geld aus der Tasche seines Vaters und erstand eine große Tüte Bonbons. Als seine Mutter ihn fragte, woher er das Geld dafür habe, sagte er: ›Es ist vom Himmel gefallen.‹ Um das Gemüt seiner Mutter zu beruhigen, teilte er die Bonbons mit seinen Geschwistern.«
    Wann immer die Erwachsenen im Afzal Mahal heute Süßigkeiten kaufen, tun sie das bei Hindus. »Sie machen bessere Süßigkeiten als Muslime, nicht zu süß und sehr aromatisch. Muslime verwenden viel zu viel Zucker«, meinte Mahetalat. Und um auch etwas Gutes über Muslime zu sagen, dachte sie eine Sekunde lang nach und erklärte: »Dafür bereiten Muslime Fleisch besser zu als Hindus. Hindus haben es ja nicht so mit Fleisch.« Sie schüttelte den Kopf, als wäre ein Leben als Vegetarier ein vergeudetes Leben.
    Vor sechs Jahrzehnten wäre das noch undenkbar gewesen: dass Muslime bei Hindus und umgekehrt irgendetwas zu essen kaufen. Man betrachtete sich gegenseitig als unrein.
    Rund um das Afzal Mahal war es damals, Mitte der Vierzigerjahre, vergleichsweise still: Wo heute Autos, Motorräder, Motorrikschas, Busse und Lastwagen knattern, war man mit Pferdekutschen, Ochsenkarren, Fahrrädern und meistens zu Fuß unterwegs. Auf der Hauptstraße fanden wöchentliche Märkte statt, direkt vor den eleganten Stadthäusern, in denen reiche Leute lebten.
    Sie konnten sich ein
Doli
oder ein
Palki
leisten, eine Art Sänfte. Ein Doli hatte einen Tragestock am Dach des Häuschens, war also eine hängende Konstruktion und wurde von zwei Männern bewegt. Das etwas größere Palki war auf zwei parallele Stöcke wie auf Schienen gesetzt und wurde entsprechend von vier Männern getragen. Wer in einem Palki reiste, saß hoch über der Erde.
    »In diese Kisten passten ein bis zwei Personen«, erinnert sich mein Vater, auch wenn er selbst nie in so einem Ding saß. In den Palkis
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher