Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
Autoren: Fannie Flagg
Vom Netzwerk:
Wunsch, informiert zu werden.«
    »Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Ich wusste nicht, dass sie Rose Terrace verlassen hatte.«
    »Ja, das war mir klar. Mrs. Otis starb eine Woche nach Ihrer Abreise.«
    »Oh, ich hatte keine Ahnung … Warum hat sie mich nicht verständigt?«
    »Nun, ich empfahl ihr, das zu tun. Aber sie meinte, Sie hätten Urlaub, und sie wollte Ihnen keine Sorgen bereiten. So war sie nun mal – ständig um das Wohl anderer bemüht … Wir zogen kurz nach dem Tod ihres Mannes hierher. Dreißig Jahre lang kannte ich sie, und nie hörte ich sie klagen. Und dabei hatte sie kein leichtes Leben. Ihr Sohn Albert war ein kleines Kind. Jeden Morgen stand sie zeitig auf, rasierte und badete und puderte ihn und legte ihm seinen Leistenbruchgürtel an. Als er ein ausgewachsener Mann war, behandelte sie ihn immer noch wie ein Baby. Kein Kind wurde jemals inniger geliebt als Albert Threadgoode. Gott segne ihre Seele, ich vermisse sie schmerzlich. Und ich weiß, Ihnen geht es genauso.«
    »Oh ja, und ich bin sehr traurig, weil ich nicht da war … Vielleicht hätte ich irgendwas tun – und ihr zum Beispiel einen guten Arzt empfehlen können.«
    »Nein, meine Liebe, da hätten Sie gar nichts tun können. Sie war nicht krank. Jeden Sonntag nahmen wir sie in die Kirche mit, und normalerweise war sie fix und fertig angezogen, saß auf der Veranda und erwartete uns. Aber nicht an jenem Sonntag … Ray, mein Mann, klopfte an die Tür, und als sich nichts rührte, ging er hinein. Nach ein paar Minuten kam er wieder heraus – allein. Ich fragte: ›Ray, wo ist Mrs. Threadgoode?‹ Und da sagte er: ›Schätzchen, sie ist tot.‹ Dann setzte er sich auf die Verandastufen und weinte. Sie war im Schlaf gestorben, ganz friedlich. Ich glaube, sie wusste, dass ihr Ende bevorstand, denn wenn ich sie besuchte, erklärte sie mir immer wieder: ›Jonnie, wenn mir was passiert, soll Evelyn diese Sachen bekommen.‹ Sie mochte Sie sehr gern. Ständig prahlte sie mit Ihnen und behauptete, eines Tages würden Sie mit ihr in Ihrem neuen Cadillac ausfahren. Armes altes Mädchen … Als sie starb, besaß sie kaum etwas außer ein paar Erinnerungsstücken und Krimskrams. Aber nun will ich alles holen, was sie Ihnen zugedacht hat.«
    Mrs. Hartman kehrte zurück mit dem Bild eines nackten Mädchens auf einer Schaukel vor blauen Wolken, einer Schuhschachtel und einem Steingefäß, dessen Inhalt wie Kieselsteine aussah.
    Verblüfft griff Evelyn nach diesem Behälter. »Was um alles in der Welt …«
    »Ihre Gallensteine«, erklärte Mrs. Hartman lächelnd. »Warum sie die gerade Ihnen vererbt hat, weiß nur Gott.«
    Evelyn öffnete den Schuhkarton und fand darin Alberts Geburtsurkunde, Cleos Diplom von der Palmer School für Chiropraktik – Davenport, Iowa, 1927, und etwa fünfzehn Begräbniszettel. In einem Kuvert steckten mehrere Fotos. Das erste zeigte einen Mann, der mit einem kleinen Jungen im Matrosenanzug auf einer Mondsichel saß. Auf der Rückseite eines Schulfotos von einem kleinen blonden Jungen stand: »Stump Threadgoode – 10 Jahre alt, 1939.« 1919 war ein Familienporträt von den Threadgoodes entstanden, und Evelyn hatte das Gefühl, alte Freunde zu betrachten. Sofort erkannte sie Buddy mit dem breiten Grinsen und den blitzenden Augen. Essie Rue und die Zwillinge, Leona, die wie eine Königin posierte, die kleine Idgie mit ihrem Spielzeughahn … Und ganz hinten, mit langer weißer Schürze stand Sipsey, die es offenbar sehr ernst nahm, fotografiert zu werden.
    Direkt darunter lag das Bild einer jungen Frau im weißen Kleid, die im selben Hof stand, ihre Augen mit einer Hand vor der Sonne schützte und in die Kamera lächelte. Evelyn konnte sich nicht entsinnen, je ein schöneres Geschöpf gesehen zu haben, mit diesen langen Wimpern, dem süßen Mund. Aber sie erkannte das Mädchen nicht und fragte Mrs. Hartman, wer das sei.
    Die Frau setzte ihre Brille auf, die an einer Halskette hing, studierte das Bild und runzelte verwirrt die Stirn. Dann rief sie: »Oh, jetzt weiß ich’s! Das muss ihre Freundin aus Georgia sein, die lange Zeit hier lebte – Ruth Sowieso …«
    Mein Gott, dachte Evelyn, Ruth Jamison. Offenbar hat man das Foto in jenem ersten Sommer geknipst, wo sie nach Whistle Stop gekommen ist … Nie hätte sie gedacht, dass Ruth so wunderschön gewesen war.
    Das nächste Bild zeigte eine Frau mit Jagdhut, die auf den Knien eines Weihnachtsmannes saß. Auf der Rückseite stand: »Frohe Weihnachten, 1965.«
    Mrs.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher