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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel
Autoren: Horst Biernath
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man durch eine Glastür in einen großen Wohnraum mit einem offenen Klinkerkamin. Der interessante Mann stand vor der Hausbar und hob sein gebräuntes Gesicht, als Manuela an der Spitze des kleinen Zuges für einen Augenblick auf der Schwelle verharrte.
    »Kommen Sie nur herein«, sagte er liebenswürdig, »und nehmen Sie einen kleinen Schluck zur Begrüßung.« Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite, als müsse er um Manuela herumschauen. »Vertragen Sie noch einen zweiten?« Seine Frage galt Nora Vollmer und Hiltrud Seinsheim.
    »Ich sagte Ihnen doch schon, Herr Guntram, daß Sie mit der White Lady meine schwache Stelle getroffen haben«, kicherte Nora.
    »Das sind echte Entdeckerfreuden«, murmelte er und winkte die jungen Leute mit einer einladenden Handbewegung näher heran. Er forderte seinen Neffen Jürgen auf, ihn mit den neu angekommenen Damen und Herren bekannt zu machen.
    »Also das ist mein Onkel Herbert Guntram, ein Bruder meiner Mutter«, knurrte Jürgen, und mit den entsprechenden Handbewegungen: »Fräulein Mellin, Fräulein Bode, und hier mein Freund Klaus Adami. Er bläst eine tolle Posaune. Nebenbei studiert er Jus.«
    Herr Guntram nickte den jungen Leuten zu: »Lassen Sie sich durch mich nicht stören, ich ziehe mich sofort zurück und überlasse Ihnen das Terrain.«
    »Aber warum denn?« rief Fräulein Seinsheim enttäuscht.
    »Weil es sich fürs Alter schickt, das Feld zu räumen, wenn die Jugend antritt«, grinste er liebenswürdig.
    »Jetzt fischen Sie aber nach Komplimenten«, rief die junge Dame, die der zweite Cocktail kühn gemacht zu haben schien, »dabei traue ich Ihnen mehr Temperament zu als diesen ganzen Düsterlingen. Ob Sie es glauben oder nicht, Herr Guntram, seit einem Jahr versuche ich Herrn Schickedanz — und Schickedanz heißt er auch noch! — einen anständigen Cha-Cha-Cha beizubringen. Er wird es nie kapieren...«
    Herr Guntram reichte Manuela einen Becher. Sie sah aus, als hätte sie eine Vision. Im gleichen Augenblick, in dem sie die Schwelle überschritt, hatte sie das Gefühl, in ein elektrisches Spannungsfeld einzutreten, das ihr für Sekunden den Atem benahm und die Knie lähmte. Guntram hatte noch nicht einmal das Gesicht gehoben und sie aus seinen dunklen Augen angeblickt, als sie schon die Empfindung hatte, diesen Raum mit seinem diffusen Licht, den matten Glanz der Möbel, die Spiegelung des kupfernen Schürgerätes in dem Glas einer Vitrine und die Begegnung mit diesem Mann bereits traumhaft erlebt zu haben, in Dutzenden von Begegnungen, die schattenhaft versunken waren, um plötzlich lebendig vor ihrem inneren Auge zu stehen. Sie nahm das dargebotene Glas entgegen, aber sie war nicht fähig, es an die Lippen zu führen.
    »Verzeihen Sie, wenn ich Ihren Namen richtig verstanden habe, so heißen Sie Mellin?«
    »Manuela Mellin...«, stammelte sie und sah im Augenwinkel, daß Jürgen Barwasser sie beobachtete.
    »Der Name ist wohl nicht allzu häufig. Haben Sie etwas mit dem Fotohaus Mellin zu tun?«
    »Ja, das Geschäft gehört meinem Vater. Das heißt, mein Vater ist schon seit acht Jahren tot. Meine Mutter führt es weiter...«
    »Oh«, murmelte er bedauernd, an ein schmerzliches Ereignis gerührt zu haben, »das wußte ich nicht. Jürgen hat Ihnen wohl erzählt, daß ich nur vorübergehend hier bin. Ich habe hier ein Baubüro etabliert, weil mich ein Verlag mit dem Bau eines Bürohauses beauftragt hat.«
    »Jürgen hat mir erzählt, Sie hätten dieses Haus gebaut.«
    »Ich habe meinem Schwager, Jürgens Vater, ein paar Skizzen gemacht. Sie gefielen ihm so gut, daß er den Bauplan danach ausführen ließ.«
    Endlich gelang es Manuela, die kleine Lähmung zu überwinden. Und plötzlich, sie empfand es fast als Erlösung, wußte sie, was sie beim Eintritt in diesen Raum und bei der Begegnung mit Herrn Guntram gebannt hatte. Es war die Wiederholung eines Bildes in ihrer Erinnerung. Ein Raum von ähnlichen Ausmaßen, der sanfte Glanz einer verhüllten Lichtquelle auf poliertem Holz, der seidige Schimmer eines Kirman, ein flackerndes Kaminfeuer, das zuckende Reflexe auf das kupferne Schürgerät warf, und Georg Mellin, ihr Vater, der Vicky und ihr, die durchgefroren von der Eisbahn kamen, zur Erwärmung dampfenden Tee mit einem kleinen Schuß Rum kredenzte. Eine äußere Ähnlichkeit zwischen Herrn Guntram und ihrem Vater bestand eigentlich nicht, vielleicht eine kleine Ähnlichkeit in der Stimme und in der ruhigen, fast ein wenig schleppenden Art, zu
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