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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel
Autoren: Horst Biernath
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Wir müssen den Burschen unbedingt durchs Abs schleppen. Also, tschüs...«, er tippte mit zwei Fingern gegen die Stirn.
    »Hast du Geld, Gregi?«
    »Wenn Sie so fragen, verehrte Dame, dann kann ich nur antworten: nie genug!«
    Viktoria ging zum Schreibtisch, wo ihre Handtasche lag, und warf dem Jungen ein Fünfmarkstück zu. Er fing es mit taschenspielerischer Geschicklichkeit auf, ließ es mit einem Zaubertrick im linken Ohr verschwinden und aus der Nase wieder herauskommen. Er übte diese Tricks, seit ihm Georg Mellin zu seinem sechsten Geburtstag einen >Zauberkasten< geschenkt hatte.
    Viktoria ging auf den Balkon zurück, um noch ein paar Züge frischer Luft zu genießen. Es war ein Juniabend. Die Sonne, ein roter Glutball, den eine stahlblaue, spindelartig langgezogene Wolke in der Mitte teilte, so daß über und unter dem tintigen Streifen zwei purpurne Kreissegmente glühten, stand genau zwischen den scherenschnittartigen Silhouetten der Burg und der Sebalduskapelle über den Hügeln, und dieses Bild spiegelte sich in der trägen, bräunlichen Wasserfläche des Flusses. Es war ein Anblick von so wunderbarer Schönheit, daß Viktoria spürte, wie die heitere Ruhe zurückkehrte, die ihr in den letzten Tagen abhanden gekommen war, wenn sie es auch vermieden hatte, ihre Sorgen auf Manuela oder Gregor abzuwälzen. Und Manuela schien tatsächlich eine Art Ahnungsvermögen zu besitzen.
    Es war übrigens der Blick auf dieses Panorama der Flußlandschaft, der Georg Mellin vor zehn Jahren veranlaßt hatte, anstatt eines Eigenheimes außerhalb der Stadt hier in einem Neubau am Kai eine Eigentumswohnung zu erwerben. Er war ein ausgesprochener Stadtmensch, und die Wohnung bot ihm neben anderen Bequemlichkeiten den Vorteil, daß sie in unmittelbarer Nähe seines Geschäftes lag. Es war von hier in fünf Minuten zu erreichen. Dieses Fotogeschäft zählte zu den bedeutendsten der Stadt, und zu ihm gehörte auch ein Großlabor mit mehr als zwanzig Angestellten. Den kinoähnlich eingerichteten Vorführsaal, in dem Herr Freytag Kurse für Schmalfilmamateure abhielt und in dem Kunden ihre Filme Freunden und Bekannten mit den modernsten Geräten kostenlos vorführen konnten, hatte Georg Mellin noch geplant. Die Ausführung hatte dann Freytag übernehmen müssen.
    Viktoria Mellin stammte selber aus der Fotobranche. Ihr Vater, Theodor Lohse, war als Industriefotograf zu Vermögen gelangt und besaß in Wiesbaden ein Archiv von bedeutendem Wert. Hier hatte Viktoria Georg Mellin kennengelernt und bald darauf trotz des Widerstandes ihrer Eltern geheiratet. Georg Mellin war nämlich zweiundvierzig Jahre alt, als er bei Theodor Lohse um dessen siebzehnjährige Tochter Viktoria anhielt. Der alte Herr war der Meinung, eine Ehe könne bei diesem Altersunterschied nicht gut ausgehen. Doch Viktoria hatte es nie zu bereuen, Georg Mellin geheiratet zu haben. Sie hatte mit ihm ein paar nicht gerade stürmische, aber sehr glückliche Jahre verlebt und später neben ihm ein ruhiges und zufriedenes Leben geführt. Der erste Schmerz, den sie durch Georg Mellin erfuhr, war, daß er vor acht Jahren auf einer Fahrt nach Köln auf der Autobahn mit seinem Wagen tödlich verunglückte und Viktoria mit der damals elfjährigen Manuela und dem um ein Jahr jüngeren Gregor allein zurückließ.
    Mit Hilfe ihres Vaters gelang es Viktoria, das Geschäft, das sie zuerst in einer Panikstimmung auflösen wollte, weiterzuführen und im alten Umfang zu erhalten. Ihr Vater war es auch, der ihr einen seiner Leute abtrat, Herrn Ewald Freytag, von dem er behauptete, er überließe ihr mit ihm das beste Pferd aus seinem Stall. Das war durchaus nicht übertrieben. Freytag besaß hervorragende Fachkenntnisse und ein ausgezeichnetes Organisationstalent. Die Angestellten respektierten ihn. Die kaufmännische Seite des Unternehmens lag ihm weniger. Diese besorgte Herr Balzer, ein Mann von etwa achtundzwanzig Jahren, der noch unter Georg Mellin als Lehrling in das Geschäft eingetreten war und sich so vorzüglich entwickelt hatte, daß Viktoria ihm den kaufmännischen Betrieb anvertrauen konnte. Es war nur diesen beiden Männern zu verdanken, daß sich der Umsatz des Geschäftes in den letzten Jahren fast .um das Doppelte erhöht hatte.
    Freytag liebte es, mit einer gewissen Eleganz aufzutreten. Seine blütenweißen Labormäntel waren Maßarbeit, zum grauen Einreiher trug er Phantasiewesten, und am Ringfinger der linken Hand blitzte ein Wappenstein, das Wappen einer
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