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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel
Autoren: Horst Biernath
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freiherrlichen Familie von Krausseneck, aus der seine Mutter angeblich stammte. Manuela hatte ihn nach der Lektüre des Dorian Gray eine Zeitlang >Lord Henry< genannt. Das war ein ziemlich oberflächlicher Spitzname, denn Freytag besaß weder die Eleganz noch den Sarkasmus des Lords. Ihre heftige Abneigung gegen den Mann, den sie neuerdings den >schönen Ewald< nannte, war jüngeren Datums. Viktoria hatte ihr gegenüber niemals auch nur die leiseste Andeutung darüber fallenlassen, daß Freytag sich ihr zum erstenmal vor etwa einem Jahr mit der unverkennbaren Absicht genähert hatte, ihr einen Antrag zu machen. Sie hatte sich von ihm nach ausgedehnten Geschäftsbesprechungen in seinem Wagen drei- oder viermal heimbringen lassen, bis er eines Abends zärtlich zu werden versucht hatte. Es war ihr gelungen, die ziemlich peinliche Situation im letzten Augenblick abzubiegen, so daß keine — oder nur eine kaum spürbare — Spannung zurückblieb. Aber als ob Manuela es mit einem eifersüchtig geschärften Wahrnehmungsvermögen gespürt hätte, begegnete sie Freytag seit etwa einem Jahr mit eisiger Ablehnung.
    Seltsam war aber, daß sie soeben mit den gräßlichen Sprüchen von ihrem »weiblichen Ahnungsvermögen< sehr nahe an die Dinge herangekommen war, die Viktoria tatsächlich Sorgen machten. Denn sie hatte in der abgelegten Korrespondenz einen Brief entdeckt, den Freytag nur irrtümlich abgelegt haben konnte. Es handelte sich dabei um die Offerte eines Fotogeschäftes in Nürnberg, mit dem Freytag in Kaufverhandlungen zu stehen schien. Er hatte ihr bisher kein Wort gesagt, daß er sich zu verändern beabsichtige. Und Viktoria wußte nicht, wie sie ihn ersetzen sollte. Es war ein Jammer, daß weder Gregor noch Manuela das geringste Interesse am Geschäft zeigten, das ihr selber schon längst über den Kopf gewachsen war.

2

    »Was für ein Glanz«, rief Manuela entzückt und stemmte die Absätze bei der kühnen Kurventechnik Jürgen Barwassers gegen das Bodenbrett. Sonst holte er sie in seinem VW ab.
    »Erborgter Glanz. Die Kiste gehört leider Onkel Herbert.«
    »Meine Mutter läßt dir übrigens sagen, du sollst nicht wie ein Irrer fahren, weil ich ihre einzige Tochter bin, und du sollst mich auch nicht mehr an der Haustür küssen, weil die Nachbarschaft daran Anstoß nehmen könnte.«
    »Sonst noch was?« grinste er.
    »Nein, das ist alles. Aber wer ist eigentlich Onkel Herbert?«
    »Ein Bruder meiner Mutter. Architekt. Baut hier für einen Verlag ein Bürohaus.«
    »Dem Wagen nach ein guter Job...«
    »Worauf du dich verlassen kannst. Überhaupt ein toller Bursche. Herr mit grauen Schläfen und noch verdammt gut in Form. Genau das, wie ich mal aussehen möchte, wenn ich in sein Alter komme.«
    »Wirst du aber nicht, Süßer. Du wirst eine Platte und einen Spitzbauch kriegen, genau wie dein alter Herr.«
    »Werde ich nicht!«
    »Wirst du! Wetten, daß?«
    Er bremste vor einer Trambahnhaltestelle scharf ab, denn er hatte unter den Wartenden Helma Bode und Klaus Adami entdeckt, zwei junge Leute, die zu den Gästen seiner Party gehörten. Er bot den beiden an, sich auf den Notsitz zu klemmen. Mehr hatte er leider nicht zu bieten.
    »Donnerschlag, Graf Barwasser, wo haben Euer Durchlaucht dieses Traumcabrio geklaut?« fragte Klaus Adami und verfrachtete seine Dame auf der harten Kofferbank hinter Manuela, bevor er sich mit einem Satz über die geschlossene Tür neben sie schwang.
    »Onkel Herberts Schlitten«, belehrte ihn Manuela. »Alter Bonvivant mit grauen Schläfen, aber in guter Kondition. Wenn er nicht sechzig wäre, würde er mich interessieren. Hauptsächlich wegen des Wagens. Eine Wucht, wie?«
    »Wie kommst du auf sechzig?« fragte Jürgen Barwasser aus leicht verkniffenen Mundwinkeln. »Onkel Herbert ist vier Jahre jünger als meine Mutter, also dreiundvierzig. Und wenn du etwa ein Faible für elegante Mittvierziger mit sportlichen Passionen haben solltest, dann wäre er genau der Typ, auf den du fliegen würdest.«
    »Diesen Herrn werde ich mir einmal näher ansehen«, kicherte Helma Bode. Sie war ein Jahr älter als Manuela und besuchte das Konservatorium. In den Semesterferien verdiente sie sich ihr Taschengeld als Mannequin in einem Konfektionshaus.
    »Werden wir das Vergnügen haben, diesen interessanten Forty-Ager kennenzulernen?« fragte Manuela und drehte den Rückspiegel in ihre Richtung, um sich die Lippen nachzufärben. Es machte ihr Vergnügen, Jürgen Barwasser auf die Palme zu bringen. Sie
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