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Große und kleine Welt (German Edition)

Große und kleine Welt (German Edition)

Titel: Große und kleine Welt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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von Musselin bedeckt war; aber durch diesen Schleier leuchteten mit dem Glanze zweier Sterne ihre traenenvollen Augen, vor den Mund drueckte sie mit Kraft ein Taschentuch und biss so fest darauf, dass ihre Zaehne hineindrangen; nie hatte ich einen so schoenen Koerper gesehen, aber dieser Koerper kruemmte sich unter den Schmerzen, wie eine ins Feuer geworfene Harfensaite. Die Unglueckliche hatte zwei Bogen aus ihren Beinen gemacht und stuetzte sich gegen eine Art Kommode, mit ihren Haenden hielt sie sich an zwei Stuhlbeinen, und alle Adern ihrer Arme waren schrecklich angeschwollen. So glich sie einem Verbrecher, der auf einer Folterbank gemartert wird. Uebrigens liess sie keinen Schrei hoeren, und das dumpfe Krachen ihrer Knochen war das einzige Geraeusch, das die Stille unterbrach. Wir drei standen stumm und unbeweglich. Das Schnarchen des Ehemannes verhallte in troestender Regelmaessigkeit. Ich wollte die Kammerfrau anblicken, aber sie hatte die Maske wieder vorgelegt, die sie ohne Zweifel auf dem Wege abgenommen gehabt hatte, und sah weiter nichts als zwei schwarze Augen und liebliche Umrisse. Der Liebhaber warf sogleich Tuecher ueber die Beine seiner Geliebten und legte den Schleier, der ihre Zuege verhuellte, doppelt zusammen. Als ich die Frau sorgfaeltig beobachtet hatte, erkannte ich an gewissen Zeichen, die ich erst unlaengst bei einem der traurigsten Ereignisse meines Lebens bemerkt hatte, dass das Kind tot war. Ich neigte mich gegen die Kammerfrau, um ihr meine Bemerkung mitzuteilen. In diesem Augenblick zog der misstrauische Unbekannte seinen Dolch, allein ich hatte noch Zeit, der Kammerfrau alles zu sagen, die ihm darauf zwei Worte mit leiser Stimme zufluesterte. Als der Liebhaber die Ursache meines Zauderns erkannt hatte, durchfuhr ihn ein leichter Schauder von den Fuessen bis zum Kopfe, und ich glaubte durch die Maske von schwarzem Sammt hindurch zu erkennen, wie sein Antlitz bleich wurde. Die Kammerfrau benutzte einen Augenblick, wo der verzweifelte Mann die schon blau werdende Sterbende betrachtete, um mich mit einem warnenden Zeichen auf mehrere Glaeser Limonade aufmerksam zu machen, die fertig zubereitet auf einem Tische standen. Ich begriff, dass ich, ungeachtet der schrecklichen Hitze, die meine Kehle austrocknete, nicht trinken duerfte. Der Liebhaber hatte Durst; er nahm ein leeres Glas, fuellte es mit Limonade und trank. In diesem Augenblick bekam die Dame schreckliche Kraempfe, die mir den guenstigen Augenblick zur Operation andeuteten; ich ergriff meine Lanzette und liess sie schnell und mit Geschick am rechten Arm zur Ader. Die Kammerfrau fing das reichlich hervorspringende Blut mit Tuechern auf, und die Unbekannte fiel dann in eine willkommene Ohnmacht. Ich waffnete mich mit Mut und konnte, nachdem ich eine Stunde gearbeitet hatte, das Kind in Stuecken herausziehen. Als der Spanier begriff, dass ich seine Geliebte gerettet hatte, dachte er nicht mehr daran, mich zu vergiften. Dicke Traenen fielen in Zwischenraeumen auf seinen Mantel. Die Frau stiess nicht einen Laut aus, aber sie zitterte wie ein wildes Tier, das in einer Schlinge gefangen ist, und der Schweiss rann in starken Tropfen von ihr. In einem furchtbar kritischen Augenblicke machte sie ein Zeichen, um uns auf das Zimmer ihres Gatten aufmerksam zu machen. Dieser hatte sich eben in seinem Bette gewaelzt. Von uns vieren hatte sie allein das Geraeusch der Decke oder des Vorhangs gehoert. Wir lauschten, und durch die Oeffnungen ihrer Masken hindurch warfen sich die Kammerfrau und der Liebhaber Flammenblicke zu, die zu fragen schienen: 'Sollen wir ihn toeten?' Dann streckte ich meine Hand aus, als wollte ich ein Glas der Limonade nehmen, die der Unbekannte vergiftet hatte. Der Spanier glaubte, dass ich eins der vollen Glaeser trinken wollte; leicht wie eine Katze sprang er hinzu, legte seinen langen Dolch ueber die beiden vergifteten Glaeser und liess mir das seinige, indem er mir andeutete, den Rest aus demselben zu trinken. In diesem Zeichen und in seiner lebhaften Bewegung lagen so viele Gedanken, so viel Gefuehl, dass ich ihm verzieh, wenn er auf meinen Tod gesonnen hat, um so jede Erinnerung an dieses Ereignis zu begraben. Als ich getrunken hatte, drueckte er mir die Hand und huellte selbst die Truemmer seines Kindes sorgfaeltig ein. Nach zwei Stunden voll Sorge und Furcht brachten wir, die Kammerfrau und ich, die Unbekannte wieder in ihr Bett. Der Liebhaber hatte bei einer so abenteuerlichen Unternehmung alle Hilfsmittel zu einer
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