Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Große und kleine Welt (German Edition)

Große und kleine Welt (German Edition)

Titel: Große und kleine Welt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
auszustrekken, so werdet Ihr finden, dass Eure chirurgischen Instrumente zwischen uns beiden liegen, denn wir haben sie aus Eurer Wohnung holen lassen; sie werden Euch notwendig sein, denn wir fuehren Euch in ein Haus, wo Ihr die Ehre einer Dame retten sollt, die eben im Begriff ist, ein Kind zu gebaeren, das sie, ohne dass ihr Gemahl es weiss, diesem Euch gegenuebersitzenden Edelmanne schenkt. Obgleich mein Herr seine Frau selten verlaesst, da er noch immer leidenschaftlich in sie verliebt ist und sie mit der Aufmerksamkeit spanischer Eifersucht bewacht, so hat sie ihm dennoch ihre Schwangerschaft zu verbergen gewusst, und er haelt sie fuer krank. Ihr sollt sie jetzt entbinden. Die Gefahren des Unternehmens gehen Euch nichts an, nur habt Ihr uns zu gehorchen, sonst wuerde der Geliebte, der, wie schon bemerkt, Euch gegenueber im Wagen sitzt und kein Wort Franzoesisch versteht, Euch bei der geringsten Unbedachtsamkeit erdolchen.'
    'Und wer seid Ihr?' fragte ich, und suchte die Hand der Sprecherin, deren Arm in den Aermel eines Mantels gehuellt war.
    'Ich bin die Kammerfrau meiner Herrin, ihre Vertraute, und bereit, Euch durch mich selbst zu belohnen, wenn Ihr uns in unserer misslichen Lage unterstuetzen wollt.'
    'Gern,' antwortete ich, als ich mich mit Gewalt in ein gefaehrliches Abenteuer hineingezogen sah. Unter dem Schutze der Dunkelheit ueberzeugte ich mich, ob Gesicht und Umrisse dieses Maedchens im Einklange staenden mit der Vorstellung, die ihre Stimme bei mir gebildet hatte. Dieses gute Geschoepf hatte sich ohne Zweifel gleich im voraus allen Zufaelligkeiten dieser sonderbaren Entfuehrung geopfert, denn sie beobachtete das gefaelligste Schweigen, und der Wagen war kaum zehn Minuten durch die Strassen von Madrid gerollt, als sie schon einen Kuss von mir erhielt und mir denselben freundlich wiedergab. Der Liebhaber, der mir gegenueber sass, schien sich nichts daraus zu machen, dass ich ihn gegen meinen Willen mit einigen Fusstritten bedachte. Ich glaube, er beachtete sie nicht, weil er kein Franzoesisch verstand.
    'Nur unter einer Bedingung kann ich Eure Geliebte sein,' antwortete mir die Kammerfrau auf die Dummheiten, mit denen ich sie in der Hitze meiner improvisierten und auf Hindernisse aller Art stossenden Leidenschaft unterhielt.
    'Und welches ist die Bedingung?'
    'Ihr duerft nie zu erfahren suchen, wem ich angehoere. Wenn ich zu Euch komme, so wird das Nachts geschehen, und Ihr werdet mich ohne Licht empfangen.'
    'Gut,' erwiderte ich.
    Unsere Unterhaltung war bis zu diesem Punkt gediehen, als der Wagen an der Mauer eines Gartens hielt.
    'Jetzt werde ich Euch die Augen verbinden,' sagte die Kammerfrau zu mir, 'und dann stuetzt Euch auf meinen Arm, damit ich Euch fuehren kann.'
    Sie schlang ein Taschentuch um meine Augen und band es fest an meinem Hinterhaupte zu. Ich hoerte das Geraeusch eines Schluessels, der mit Vorsicht von dem schweigenden Geliebten, der mir gegenueber gesessen hatte, in das Schloss einer kleinen Pforte gesteckt wurde. Gleich darauf fuehrte mich die Kammerfrau mit gebeugtem Koerper durch die sandigen Gaenge eines grossen Gartens, bis zu einem gewissen Platz, wo sie stehen blieb. An dem Widerhall unserer Schritte bemerkte ich, dass wir vor einem Hause standen.
    'Jetzt still,' sagte sie mir ins Ohr, 'und wacht wohl ueber Euch selbst. Lasst kein einziges meiner Zeichen Euch entgehen; ich kann ohne Gefahr fuer uns beide nicht mehr zu Euch sprechen, und es handelt sich in diesem Augenblicke darum, Euer eigenes Leben zu retten.' Dann fuhr sie mit lauter Stimme fort: 'Meine Frau ist in einem Zimmer im Erdgeschoss; um in dieses zu gelangen, muessen wir durch das Zimmer ihres Gatten und an seinem Bette vorueber; hustet nicht, geht leise und folgt genau meinen Schritten, damit Ihr nirgends anstosst, noch mit dem Fusse von dem Teppich tretet, den ich auf den Boden gelegt habe.' Der Liebhaber murrte, wie ein Mann, der unwillig ueber zu langes Zoegern ist. Die Kammerfrau schwieg, ich hoerte eine Tuer oeffnen und fuehlte die warme Luft eines Zimmers; wir schlichen mit Wolfsschritten, wie Diebe bei einem Einbruch. Endlich nahm mir die sanfte Hand des Maedchens meine Binde ab. Ich befand mich in einem grossen und hohen Zimmer, das von einer dampfenden Lampe schlecht erleuchtet wurde. Das Fenster war offen, aber durch den eifersuechtigen Edelmann mit starken Eisenstaeben versehen. Ich stak in diesem Zimmer wie in einem Sacke. Auf der Erde, auf einer Decke, lag eine Frau, deren Haupt mit einem Schleier
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher