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Große und kleine Welt (German Edition)

Große und kleine Welt (German Edition)

Titel: Große und kleine Welt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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sechzehnjaehrigen Juenglings. Jedem andern wuerde die diabolische Miene des Elias Magus aufgefallen sein. Das Beben der Bartspitzen, die Haltung des Kopfes waeren ihm nicht entgangen.
    Wie ein Schueler, der eine Dame begleiten darf, stolzierte Fougeres mit freudestrahlendem Gesicht durch die Strassen. Er begegnete seinem ehemaligen Mitschueler Josef Bridau, einem vom Unglueck verfolgten, vielversprechenden Talente. Da Bridau, wie er erklaerte, noch ein paar Sous in der Tasche hatte, nahm er Fougeres mit in die Oper. Aber Fougeres sah nichts von dem Ballet, hoerte nichts von der Musik; er entwarf Bilder, er malte. Noch waehrend der Vorstellung verabschiedete er sich von seinem Freunde und eilte nach Hause. Er fing an, beim Schein der Lampe zu skizzieren, erfand dreissig Bilder voll von Reminiszenzen und hielt sich fuer ein Genie.
    Gleich am andern Morgen kaufte er Farben und Leinwand in allen Groessen. Brot und Kaese stellte er auf den Tisch, fuellte den Krug mit frischem Wasser und haeufte Brennholz auf. Dann ging er an die Arbeit. Er hatte einige Modelle, und Magus lieh ihm ein paar Gewaender. Nach zwei Monaten vollkommener Zurueckgezogenheit hatte der Bretone vier Gemaelde vollendet. Wieder bat er Schinner um sein Urteil und lud auch Josef Bridau dazu ein. Die beiden Maler bezeichneten die Bilder als treue Kopien der Hollaendischen Landschaften und der Interieurs von Metsu, waehrend das vierte eine missratene Nachbildung von Rembrandts Anatomie sei.
    "Nichts als Nachahmungen," sagte Schinner; "Fougeres wird es schwerlich dazu bringen, etwas Eigenes zu geben."
    "Du solltest etwas anderes tun als Bilder malen," sagte Bridau.
    "Was denn?" fragte Fougeres.
    "Wirf Dich auf die Literatur," sagte Bridau.
    Fougeres liess den Kopf haengen wie ein Schaf im Regen. Dennoch liess er sich einige technische Winke geben und arbeitete danach noch an seinen Bildern, bevor er sie zu Elias brachte. Dieser zahlte ihm fuenfundzwanzig Francs fuer das Stueck. Fougeres verdiente dabei nichts, verlor aber auch nichts, denn er lebte sehr anspruchslos.
    Wieder nahm er nun seine Spaziergaenge auf, um das Schicksal seiner Bilder zu verfolgen. Da hatte er eine merkwuerdige Halluzination: seine so klar und genau gemalten Bilder, die von der Haltbarkeit des Eisenblechs und glaenzend wie Porzellan waren, schienen wie von einem grauen Nebel ueberzogen; sie glichen alten Gemaelden. Elias war ausgegangen, und so konnte sich Fougeres keine Erklaerung dieses Phaenomens einholen. Er dachte, es muesse eine Taeuschung sein. Er kehrte heim und fing von neuem an, alte Bilder zu malen.
    Nach sieben Jahren unermuedlicher, eifriger Arbeit brachte Fougeres es so weit, dass er ertraegliche Bilder komponieren und ausfuehren konnte. Er leistete etwas Mittelmaessiges, wie viele andere Maler auch. Elias kaufte und verkaufte alle diese Bilder des armen Bretonen, der jaehrlich muehsam hundert Louis verdiente, waehrend er kaum zwoelfhundert Francs verbrauchte. Bei der Ausstellung des Jahres 1829 wurden Leon de Lora, Schinner und Bridau, die von grossem Einfluss waren und an der Spitze der kuenstlerischen Bewegung standen, so ergriffen von der Beharrlichkeit und der Armut ihres einstigen Kameraden, dass sie eines seiner Bilder zum grossen Salon der Ausstellung zuliessen. Dies Gemaelde zeigte einen jungen Straefling, dem die Haare geschoren wurden. Er sass zwischen einem Priester und einem jungen und einem alten Weibe, die weinten, waehrend ein Schreiber ein gestempeltes Schriftstueck las. Unberuehrt standen auf einem schmutzigen Tische Speisen; zwischen den Gitterstaeben eines hochgelegenen Fensters fiel das erste Tageslicht herein. Ein Etwas in diesem Bilde musste die Buerger erschauern lassen—und sie erschauerten. Unverkennbar war Fougeres von Gerard Dous bekanntem Meisterwerk beeinflusst worden; er hatte die Gruppe im Gemaelde "Die wassersuechtige Frau" zum Fenster gedreht, statt sie von vorne zu zeigen und die Sterbende durch den Verurteilten ersetzt; es war dasselbe fahle Gesicht, derselbe Blick, derselbe Aufschrei zu Gott. Statt des flaemischen Arztes hatte er den schwarzgekleideten Schreiber mit seiner kalten Amtsmiene hingemalt, und dem Maedchen auf dem Bilde Gerard Dous ein greises Weib zugesellt. Beherrscht wurde die Gruppe von dem brutal gleichgueltigen Gesicht des Henkers. Das Plagiat war raffiniert ausgefuehrt, und niemand erkannte es als solches. Der Katalog vermerkte: "No. 510. Grassou de Fougeres, Pierre, 2 Rue de Navarin. Toilette eines im Jahre 1809
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