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Grolar (German Edition)

Grolar (German Edition)

Titel: Grolar (German Edition)
Autoren: Thorsten Nesch
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sich im Kreis, fand sie und verlor keine Zeit, direkt Kurs auf sie zu nehmen. So, wie sein Kopf aussah, musste er einiges abgekriegt haben, ohne dass es ihn umgebracht hatte.
    »Komm, Tara, schneller, schneller!«, sagte er und hoffte, sie würde sich nicht umdrehen.
     
     
Jon sah durch das klare Wasser den Grund des Sees, und beim zweiten Versuch konnte er Tritt fassen. Er hob Cliff von dem Schwimmer auf seine Schulter und watete durch das flacher werdende Wasser ans Ufer, dicht gefolgt von Tara. Müllsäcke trieben um sie herum, und die schiefen Wände des verbeulten Containers schälten sich aus dem Wasser. Marten trieb mit dem Gesicht nach unten daneben.
    Schweigend, mit vor Schwäche, Kälte und Furcht geschwächten Beinen schleppte sich Jon aus dem Wasser. Tara würde es nicht besser gehen.
    »Zum Truck!«, japste Jon.
    »Und dann?«
    »Einfach Zeit gewin...«, Jon hörte hinter sich Wasser spritzen.
    Der Grolar hatte schon den Grund des Sees erreicht, schneller, als es Jon vermutet hatte. Sein Schädel und der Rücken bluteten aus zahlreichen Wunden durch den Propeller und die Schüsse, ein Felllappen hing seitlich herunter. Trotzdem würden sie den Pick-up nicht erreichen, der Bär war bereits zu nah. Auch der nächste Container stand zu weit entfernt, selbst wenn die Tür des nächsten, des Generators, offen stand. Abgesehen davon würde er diesen ebenfalls zerlegen. Direkt vor ihnen lag die Siebtrommel, aus massivem Stahl rundherum, zu eng für die Bestie.
    »Komm!«, rief er.
    »Jon, wohin?«, fragte sie im Laufen, mehr ein Humpeln, barfuß auf dem steinigen Untergrund.
    Vor dem Maschendrahtzaun blieb er stehen und trat einen Pfosten um, damit Tara leichter drüber kam. Blut klebte am Holz. Es stammte von seiner Fußsohle, die er sich auf den kantigen Steinen am Ufer aufgeschlitzt haben musste.
    »Was?«, fragte sie.
    Er nahm seinen Sohn in den Arm, »Rein da! Kriech da rein, in die Trommel!«
    Sie sahen, wie der Grolar aus dem Wasser marschierte, ausdruckslos, gnadenlos.
    »Nein!«, sie stolperte und kroch bis in die Mitte der Trommel. Jon folgte ihr, indem er sich auf den Rücken legte, Cliff auf seinen Bauch, Gesicht an Gesicht, wie früher, als er ein Baby war und er ihn so auf seinem Bauch hatte einschlafen lassen. Mit den Füßen und Händen stieß er sich ab, weg von der Öffnung, und schrappte so mit dem Rücken ungeschützt über die selbstgefrästen Löcher im Stahl. Anstatt die Kieselsteine auszusortieren, rissen sie sein T-Shirt und seine Haut am Rücken in Fetzen.
    Rechtzeitig zog er die Füße weit genug ein, als das Maul des Grolars nach ihnen schnappte und seine Zähne gegen den Stahl donnerten. Alleine sein Kopf war größer als der Durchmesser der Siebtrommel, nur mit seiner spitzen Schnauze reichte er hinein. Er brüllte sie an, und Cliff klammerte sich an ihn und schrie gleichzeitig nach seiner Mami. Sein Sohn zitterte am ganzen Körper.
    Die Kiefer des Tieres schnappten auf und zu, und sein Gebrüll wurde in der Stahltrommel verstärkt. Speichel und Blut spritzten bis auf Jons Beine. Auge in Auge mit Cliff lag er da, dessen Angst sich seit viel zu langer Zeit in sein Gesicht gemeißelt hatte. Keine Armlänge war der Grolar entfernt, trotzdem kam er an sie nicht heran. Wenn er sie nicht anknurrte oder anbrüllte, rasselte sein Atem in seinem eigenen Blut und Speichel.
    Endlich verschwand der Schädel. Durch die Löcher in den Seiten sahen sie, wie der Bär an der Trommel vorbeischlich zur anderen Seite. Entfernt hörten sie den nagelnden Dieselgenerator.
    Vorsichtig rutschte Jon vor, damit Tara aufrücken konnte. Ihm tat alles weh, ohne Cliff würde er einfach aufgeben.
    Taras Kopf neben seinem, falsch herum, Ohr an Ohr, Cliffs Hände grapschten ihre Haare. Rostspuren und Erde an Händen und Gesicht vermischten sich mit Blut. Sie stanken nach See und Angst und Kerosin.
    Auch sie zog die Beine an, weil es der Bär von der anderen Seite probierte. Schon bald wechselte sein Gebrüll zu einem bösartigen Brummen.
    Tara flüsterte wie bei einem Gebet, »Was hat er? Was will er von uns? Was haben wir ihm getan?«
    »Psst. Lass uns einfach still liegen bleiben.«
    Er hoffte einmal mehr, der Bär würde irgendwann von ihnen ablassen. Die Wälder waren unendlich hier, dort hatte er doch alles, was er brauchte.
    »Mami.«
    »Psst.«
   
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