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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Autoren: Ruth Berger
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Kraft für all die kleinen und großen Aktivitäten, die der Umzug, der Haushalt sowie Georgs strenge Prinzipien der sparsamen Haushaltsführung von ihr verlangten (warum so viele Mägde, warum eine Haushälterin? Sie konnte das doch selbst! Hatte ihr das die Mutter nicht beigebracht? – Nein, hatte sie nicht. Ihr einziger, sie vollkommen in Beschlag nehmender Lehrmeister war ja der Vater gewesen). Nutzlos und überfordert fühlte sie sich, und ihr plötzlich so unzuverlässiger Körper machte ihr Angst.
    Georg, eigensinnig, undiplomatisch, idealistisch, kam mit seinem an sich respektablen markgräflichen Brotherrn und mit dessen Hofschranzenkabinett ebenso wenig zurecht wie damals mit dem Württemberger Erben in Treptow an der Rega. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, wenn er nach all dem täglichen Ärger mit dröhnendem Schädel nach Hause kam, war eine jammernde, leidende Frau, die den ganzen Tag keinen Finger gerührt hatte und die ihn – es verletzte ihn zutiefst – im Ehebett nicht so trösten konnte, wie er es gebraucht hätte. Gerade, dass sie gequält die Beine auseinandernahm. Oft genug verweigerte sie sich sogar ganz: Angeblich tat er ihr weh. Sicher, er wusste es, Adonis war er nicht. Aber er hatte geglaubt, sie liebte ihn. Doch nein, sie schrak vor ihm zurück, vor seiner Nacktheit, seinem Mund. «Ihr ekelt vor meiner Liebe», schrieb er seinem Bruder. Es war unerträglich.
    Cornelie hatte nicht nur falsch gelegen in ihrer Annahme, Georg sei hauptsächlich an ihrem Geist und nicht an ihrem Körper interessiert. Sie erkannte ihren als Freund, als Menschen wirklich geliebten, vertrauten Frankfurter Verlobten auch nicht mehr wieder in diesem übellaunigen, schroffen, rechthaberischen Mann, der spätabends nach Hause kam, kein gutes Wort für sie hatte und sie dann im Bett überfiel wie ein Tier.
    Als Georg es nach ein paar Monaten schaffte, vom Karlsruher Hof versetzt zu werden, in eine halbwegs unabhängige Position als Amtmann in Emmendingen, wo er eher als in Karlsruhe schalten und walten konnte wie er wollte und seine Laune sich entsprechend besserte – da war es eigentlich schon zu spät für die beiden. Jedenfalls, solange Cornelies Gesundheit weiterhin ruinös blieb. Georg hielt die ewigen Schmerzen und Krämpfe seiner Frau für eingebildet, verstand sie als Vorwurf, als Beischlaf- und Arbeitsverweigerung gegenüber ihm, den sie nicht liebte und der ihr nicht bot, was sie aus Frankfurt gewohnt war: Luxus und städtisches Amüsement. Cornelie dagegen, abgeschnitten von der Heimat, den alten Freunden und der früher so wenig geschätzten Geborgenheit des Elternhauses, war derart mit ihrem gequälten Körper und dem Überstehen jedes Tages beschäftigt, dass ihr der gestrenge Gatte irgendwann nur noch egal war.
    Die beiden hätten Jahre gebraucht, um sich wieder nahe zu kommen. Doch die bekamen sie nicht. Schwanger mit ihrer zweiten Tochter, so unendlich allein, wie man nur am Ende eines Lebens sein kann, wusste Cornelie Anfang Dezember 1776, was sie schon lange ahnte: Dass ihr Körper nur noch fürs Grab taugte. Sie schrieb es einer Freundin, deren Briefe sie bis dahin nie beantwortet hatte, wie sie kaum einen Brief, von Wolfgangs abgesehen, beantwortet hatte in der ganzen Zeit ihrer Ehe. Die Wahrheit, wie es ihr ging, die wollte doch ohnehin niemand hören. Die wollte sie auch niemandem offenbaren. Fremden Menschen jedenfalls nicht wie der Frau von Stein, die der selbst inzwischen so schreibfaule Bruder genötigt hatte, eine Korrespondenz mit ihr zu beginnen, sodass sie sich ihrerseits genötigt fühlte, der holdseligen hohen Dame zweimal etwas gekünstelt zu antworten und so zu tun, als sei irgendetwas in Ordnung in ihrem Leben.
    Der Brief, in dem sie die Wahrheit schrieb, der war fast ihr letzter. Mit zusammengebissenen Zähnen hielt sie noch sechs Monate durch, pflichtbewusst, das Kind sollte wenigstens durchkommen, wenn sie schon starb an ihm. Wenigstens dies eine konnte sie vielleicht erreichen, wenn sie auch sonst für nichts gut war. Man konnte stark sein im Sterben, das wusste sie, das hatte sie an der Magd gesehen damals, der Kindermörderin, die bleich und aufrecht gesungen hatte auf dem Weg zum Schafott. Sie, sie würde im Sterben ein Kind ins Leben bringen. Und sie schaffte es bis zur Geburt, nährte das kleine Mädchen sogar mit ihrer eigenen Milch die gefährlichen ersten zwei, drei Wochen, bis sie im Juni 1777, ziemlich genauso alt oder jung wie eben jene Magd bei ihrem Tod,
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