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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Autoren: Ruth Berger
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Jud und der Eigennutz verzehrten alles!), wurde von seinem Gott dafür belohnt, indem der ihn mitten in der Blüte seines späten Stifterglücks fast qualfrei aus dem Leben holte: Ende 1772 erkletterte nämlich der Herr Doktor etwas übermütig und voller Bauherrenstolz das Gerüst seines nun schon fast fertigen, herrlichen Bürgerhospitals. Oben angelangt, rutschte er ab und fiel aus großer Höhe. Er landete ungünstig.
    So hatte er das Privileg, die erste Leiche zu sein, die in eben diesem Hospital und in dessen nagelneuem anatomischem Theater seziert wurde (Todesursache: Schädelbruch). Bei der Sektion ging es sauber zu. Ein merklich unangenehmer Geruch entstand erst bei der Testamentseröffnung, denn dieses Schriftstück, wie auch die zugehörigen Ergänzungen der Stiftungsverfügungen, enthielt einigen Unflat. Die Frankfurter Ratsherren wurden ausführlich und unsäglich beschimpft (insbesondere Siegner, der nicht ganz nüchtern im Gasthaus Zum Kreuzchen angeblich angekündigt hatte, die Ratsherren würden sich nach dem Tod Senckenbergs das gesamte Stiftungsvermögen persönlich unter den Nagel reißen). Jede Einmischung des Rates in Stiftungsangelegenheiten verbat sich der Stifter unter Verwünschungen. Worauf sich der Rat prompt doch einmischte, und zwar durch sofortige Konfiskation der beleidigenden, rufschädigenden Teile der Urkunden. Die Stiftung prozessierte, der Rat ebenfalls, und das Ganze entwickelte sich zu einer Jahrzehnte währenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Frankfurter Anwaltszunft. So bekamen die Ratsherren (in ihrer Funktion als Anwalt oder Vater oder Bruder eines Anwalts) per Honorar doch noch ihren Teil ab von der Stiftung. Dass nicht etwa nur die Kranken, die Naturkundler und die Mediziner was davon hätten, von dem ganzen schönen Senckenbergischen Geld!
    So um die fünfzig Jahre später legte man den Rechtsstreit bei, damit man sich auch einmal daranmachen konnte, die Stiftungsziele zu verfolgen. Einige Teile der Stiftung waren leider inzwischen scheintot. Die Frankfurter Bürger päppelten sie in einem neu gegründeten Verein liebevoll wieder auf. Daraus entstand am Ende zum Beispiel das weltbekannte Senckenberg Museum mit seinen vorsintflutlichen Ungeheuern in der Eingangshalle, über die der Stifter, trotz gewisser religiöser Bauchschmerzen, begeistert gestaunt hätte. Wer sich ein bisschen auskennt in der Frankfurter Naturforschung, der weiß zudem, dass auch mehrere Universitätsinstitute zu den Kindeskindern der Stiftung zählen, sowie natürlich das Senckenbergische Institut für Geschichte der Medizin, und dass man bis heute in der Universitätsbibliothek immer mal wieder hinterlassene Bände aus dem persönlichen Besitz des Herrn Doktors in die Finger bekommt. Das Bürgerhospital, Prachtstück der Stiftung, gibt es auch noch. Es fällt nur nicht mehr so auf in einer Zeit, in der Gemeinwohl Standard ist, was ja schön funktioniert, indem die gemeinen Leute sich per gesetzlicher Krankenversicherung ihr Gemeinwohl zwangsweise selber zahlen und das der Armen gleich mit dazu. Da können dann die, die nicht zum gemeinen Volk gehören, sich in der privaten Krankenversicherung um ihr Privatwohl kümmern – so wie es eh und je der Fall war. Wer das ein bisschen anders sieht, der gründet eben eine Stiftung.
    Und Cornelie?
    Es überraschte niemanden, als sie sich mit Georg Schlosser verlobte. Bis auf Wolfgang, der aus allen Wolken fiel. Er nahm es sowohl Cornelie als auch Georg übel, dass sie auf die Idee kamen, einander näher zu sein als ihm. Vor allem Cornelie verzieh er nicht, die doch sein zweites Ich war und für immer zu ihm gehört hätte und von der er sich verlassen und verraten fühlte.
    Viele Anzeichen deuteten darauf hin, dass Cornelie und Georg glücklich miteinander werden könnten. Sie schienen es jedenfalls vorläufig zu sein. Sehr sogar. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Georg nach langem Hin und Her endlich die lukrative Anstellung erhielt, die seiner Ansicht nach zum Heiraten noch gefehlt hatte. Es war Ende November 1773, als beide, Eheleute seit zwei Wochen, in ihren ersten gemeinsamen Hausstand umzogen. Nach Karlsruhe.
    In der allerersten Zeit ließ sich – endlich allein, endlich fort aus dem Frankfurter Trott, endlich richtig erwachsen! – eine gewisse Euphorie konstatieren.
    Doch dann lief alles schief.
    Die Reise den Rhein hinauf hatte Cornelies labiler Gesundheit zugesetzt. Eine sich bald einstellende Schwangerschaft half nicht. Ihr fehlte einfach die
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