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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Autoren: Ruth Berger
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Und da hatte man die jungen Leute, die über die Mauer in die Umfriedung kletterten – feine junge Herrschaften allesamt, wer es sich eben leisten kann, in einem Januar mit den teuersten Brotpreisen seit Menschengedenken Geld für bloßen Nervenkitzel auszugeben – da hatte man die natürlich mal hineinsehen lassen, und deren Silbermünzen hatte man auch nicht verschmäht.
    Dem Körper und dem Kopf der Susann war das egal. Aus ihnen war die Seele längst gewichen. (Nur die Nerven zuckten noch gelegentlich in der rechten Hand, wenn man genau hinsah.) Und der Körper und der Kopf von der Susann ließen sich denn auch geduldig in die Erde bringen hier im Schandfriedhof des Gutleuthofs, wo man Monate zuvor schon die malträtierte Leiche ihres Sohnes verscharrt und wieder ausgegraben und wieder verscharrt hatte.
    Da liegen sie noch heute, eins geworden mit der Frankfurter Erde und der Frankfurter Geschichte, gar nicht weit von jenem Ort, der sich rühmt, der größte Fernbahnhof Europas zu sein.

NACHREDE
    Für die, die wissen möchten, wie es weiterging
     
    DER RATSSCHREIBER CLAUDY unterließ es leider, der Susann den wichtigsten ihrer letzten Wünsche zu erfüllen. Warum, verrät er uns nicht in seinen Protokollen, vielleicht hat er es schlicht vergessen, weil er die ganze üble Angelegenheit möglichst schnell ad acta legen wollte nach dem Tod der Inquisitin. Vielleicht schien auch das «Gelümps» (so Rost) in der Kleidertruhe einer Dienstmagd den Aufwand der Versteigerung nicht wert. Sicher ist nur: Susanns Habseligkeiten wurden nicht zugunsten der Wetzelischen Kinder verkauft – obwohl die jeden Kreuzer gut hätten gebrauchen können im Winter und Frühjahr des Jahres 1772, dem schlimmsten Hungerjahr des Jahrhunderts. Vielmehr wurde alles, inklusive Perlen, der Königin ausgehändigt.
    Die Königin stand sich anscheinend eher besser denn schlechter mit ihren Gönnerinnen nach den Ereignissen. Sie konnte ja nichts für die Sünden von dem ungeratenen Mensch! Leider nur war es ihr nicht vergönnt, ihre relative Frankfurter Prominenz durch den öffentlichen Tod ihrer kleinen Schwester lange zu genießen. Sie hatte es immer schon gefühlt, dass sie nicht so gesund war wie ihre robusten Geschwister – dieser Druck in der Kehle und die vielen Vapeurs, die sie plagten. Im Jahr 1776 wurde sie dann arg krank und starb (nachdem sie nicht lange davor noch ein Töchterchen geboren hatte, für das glücklicherweise die Frau de Bary geruhte, die Patin zu spielen, samt entsprechendem Taufgeschenk). Ihr Mann, der Tambour, heiratete bald noch einmal. Wen wohl? Die Käthe Brandin natürlich, seine Schwägerin und Hausgenossin. Die saß ja bereit. Da musste sich niemand umstellen in der Familie.
    Die Hechtelin spürte für immer eine Schwere im Herzen. Ihr blieb wenigstens viel Zeit, sich im Vergessen zu üben, denn gemeinsam mit ihrem Hechtel erlebte sie noch Napoleon. Zuletzt hört man nach 1800 von den beiden, als leider ihr Einkommen zusammen mit der Arbeitskraft im Schwinden begriffen war. Aber sie hatten ja Bürgerrechte, da fiel man nicht ins Bodenlose, da konnte man sich auf die städtische Almosenkasse verlassen.
    Über das weitere Schicksal der Frau Bauerin ist wenig bekannt. Ihr Haus Zum Einhorn überstand noch 172 Jahre, bis eine neu aufgekommene, sehr unzivilisierte Art der Kriegsführung die mittelalterliche Altstadt Frankfurts mit Ausnahme der Römer-Fassade in den Orkus der Geschichte bombte. Die Frankfurter hätten sich 1944 natürlich nach alter Tradition gerne ergeben und die Besatzer kampflos in die Stadt gelassen – aber in diesen Zeiten ging das leider nicht mehr so einfach. Immerhin: Nach dem Krieg konnte man wenigstens einmal ein paar neue Häuser und breite Straßen bauen. Die alten Gässchen waren ja doch zu eng gewesen, und das ganze bunte, schiefe alte Fachwerk so mitten in der Stadt – da hatte man sich ja direkt schämen müssen vor den Messegästen.
    Der Freiherr und Ratsherr (suspendiert) Erasmus Senckenberg schaffte es, seinen Prozess dauerhaft zu verzögern, seinem Bruder mit dessen lächerlicher Stiftung sowie den werten Collegae im Rat noch ein paar Stöcke zwischen die Beine zu werfen und dabei in seinem Arreststübchen halbwegs gemütlich alt zu werden. Bis ihn im Jahr 1795 ein verklemmter Bruch auf nicht sehr angenehme Weise verr–, Pardon, versterben ließ.
    Dr.   J. Christian Senckenberg, der so rechtschaffen war und fürs Gemeinwohl so viel getan hatte (Der Rat tat es ja nicht! Der
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