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Grenzen setzen – Grenzen achten

Titel: Grenzen setzen – Grenzen achten
Autoren: Anselm Grün/Ramona Robben
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wird in solchen Fällen immer mehr vergiftet. Da sind dann nicht nur äußere Trennungen nötig, sondern auch eine klare innere Abgrenzung. Sonst kann sich die Familie nie entfalten. Diese Schwiegertochter braucht dann eben ihr eigenes Gebiet wie Abraham und Lot, damit die junge Familie zusammenwachsen und ihre Konflikte selber lösen kann.

    Die innere Abgrenzung ist oft schwerer als die äußere. Da kreist etwa ein junges Ehepaar immer wieder darum, was die Eltern oder Schwiegereltern über sie und ihre Kinder gesagt habenoder was sie darüber denken. Und wenn sie die Eltern besuchen, fühlen sie sich sofort kontrolliert, beobachtet und zu bestimmten Verhaltensweisen gedrängt. In einer solchen Konstellation ist es wichtig, sich innerlich abzugrenzen. Die Mutter und der Vater dürfen denken, was sie denken. Sie dürfen ihre Wünsche äußern und natürlich auch ihre Meinung haben. Ich muss mich darüber nicht aufregen. Ich kann es bei ihnen lassen. Wenn ich die Grenze zwischen mir und den Eltern klar ziehe, kann ich mit ihnen gut auskommen. Ich fühle mich nicht ständig in meiner Freiheit beschnitten. Ich entscheide, wann ich ihre Wünsche erfüllen möchte und wann nicht. Und ich stehe nicht unter Druck, sie von der Richtigkeit meiner Meinung überzeugen zu müssen. Ich habe mich abgegrenzt und respektiere die Begrenztheit ihrer Weise, die Welt zu betrachten und zu deuten.

    Wenn man viel Zeit miteinander verbringt und alles gemeinsam tun möchte, dann erzeugt das oft ein aggressives Klima wie bei den Hirten Abrahams und Lots. Aber wenn man – wie etwa in einer klösterlichen Gemeinschaft – das christliche Gemeinschaftsideal hoch hängt, übersieht man nicht selten, dass die Aggressivität menschlich und normal ist und dass gerade die problematische Enge danach schreit, mehr Freiraum zu schaffen. Und anstatt eine gesunde Distanz zu ermöglichen, appelliert man an die Nächstenliebe: Man solle sich doch vertragen und einander achten. Doch die moralischen Appelle fruchten nicht, wenn die äußeren Bedingungen nicht ernst genommen werden, unter denen ein gutes Miteinander möglich wird. Im Gegenteil, die ständige Ermahnung, einander mehr zu lieben und zu verstehen, erzeugt neue Aggressivität oder inneren Rückzug. Da wäre eine nüchterne Analyse, warum das Miteinander so schwierig ist, viel fruchtbarer. Eine solche Analyse würde sicher ergeben, dass das Miteinander von Nähe und Distanz nicht ausgewogen ist.

2. Grenzverletzungen
    Von Übergriffen und Vereinnahmungen
Das Andere respektieren
    Die alte Geschichte von Lot und Abraham ist auch in ihrer Fortsetzung und in einem weiteren Aspekt lehrreich für uns heutige: Lot hatte sich in Sodom niedergelassen. Sodom und Gomorra sind Städte, in denen ein böser Geist herrscht. Zwei Engel des Herrn besuchen Lot in der Stadt Sodom, um nachzusehen, ob die Menschen dort wirklich so böse sind. Lot nimmt sie freundlich in sein Haus auf. „Sie waren noch nicht schlafen gegangen, da umstellten die Einwohner der Stadt das Haus, die Männer von Sodom, jung und alt, alles Volk von weit und breit. Sie riefen nach Lot und fragten ihn, wo sind die Männer, die heute Abend zu dir gekommen sind? Heraus mit ihnen, wir wollen mit ihnen verkehren!“ (Gen 19,4f). Lot versucht, die Männer von diesem Verbrechen abzuhalten. Aber sie überrumpeln ihn und machen sich daran, die Türe aufzubrechen. Doch die beiden Engel schlagen die Männer mit Blindheit, so dass sie den Eingang nicht finden.

    Hier verletzen die Männer von Sodom ganz klar die Grenze anderer Menschen. Sie möchten mit den fremden Männern sexuellen Kontakt haben und verletzen so das Gastrecht, das in der Antike bei Juden und Griechen gleichermaßen heilig war. Sie achten nicht die Grenzen, die das Gastrecht um jeden Fremden gezogen hat. Der Fremde war unantastbar. Im Fremden kam etwas Numinoses, etwas Göttliches, zu einem. In unserer Erzählung sind es Engel, die in den beiden Männern zu Lot kommen.Doch die Männer von Sodom wollen sie für sich benutzen. Sie haben kein Gespür für den Fremden, der ihrem Zugriff entzogen ist. Sie möchten ihre Gier an ihnen befriedigen. Hier geht es um eine extreme Grenzverletzung. Häufig geschieht solche Ausbeutung subtiler. Da werden die Fremden einfach vereinnahmt. Nur wenn sie sich so gebärden wie wir, werden sie akzeptiert. Aber das Fremde, das Unerklärliche, das Numinose, das sich uns entzieht, wird nicht respektiert. Im „Dritten Reich“ war die
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