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Graz - Novelle

Graz - Novelle

Titel: Graz - Novelle
Autoren: Luftschacht-Verlag <Wien>
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Streifen, Rüschen. Es waren auch immer Mädchen, die ihre Haare färbten, mit Blond oder Braun oder Rot, sie verwendeten immer mehr als eine Farbe, das fanden sie schön.
    Für einen Moment wurde ich dazu verführt über vergangene Nacht nachzudenken.
    Ich konnte meinen Blick weiter nach oben zwingen, die Fassade entlang hinauf zu dem Fenster, hinter dem ich die Frau und den Mann gesehen hatte. Ich erwartete nicht, dass die Vorhänge schon offen sein würden.
    Sie schliefen noch. Natürlich schliefen sie noch. Ich weiß nicht, warum ich davon überzeugt war, dass sie mit ihren Rücken zueinander lagen, ihre Kissen weit voneinander weg.
    Ich sah Bewegung auf der Straße und stieß meinen Kopf gegen das Fenster. An der Stelle, wo Jochen gelegen hatte, dachte ich, jemanden winken zu sehen. Ich musste mit den Fingern die Schläfen berühren, um wieder klar denken zu können. Es war schwer, das Bild des Jungen, den ich in meinen Gedanken in Weiß gekleidet hatte, aus dem Kopf zu verbannen.
    Ich hörte meinen Namen und stieß noch einmal gegen das Fenster.
    Carla winkte mir. Sie stand eingepackt gegen die Kälte auf der Verkehrsinsel bei der Haltestelle und zeigte auf mein Haustor. Sie drehte einen imaginären Schlüssel um.
    Ich gab ein Zeichen, dass sie ihren Schlüssel verwenden konnte.
    In Zeichensprache fragte sie, ob mein Schlüssel auf der anderen Seite im Schloss steckte, dann könne sie nicht hinein. Ich zeigte meinen Schlüsselbund, und mit der anderen Hand machte ich eine schneidende Bewegung entlang meines Halses.
    „Mann“, sagte sie, als sie oben an der Treppe angekommen war. „Wenn du mir nichts gesagt hättest, dann hätte ich unten schon gesehen, dass du kaum geschlafen hast. Aber ich irre mich.“ Sie blieb in der Tür stehen. „Du hast überhaupt nicht geschlafen, glaube ich. Du hast die Nacht durchgemacht.“ Sie nahm die Haut in der Höhe ihrer Backenknochen und zog daran. „An deinen Augenringen kann man ja Felgaufschwünge üben.“
    „Carla“, sagte ich.
    Sie bekam keinen Kaffee.
    Ich zog die Hose an, die ich mir vorgenommen hatte anzuziehen, nahm einen sauberen Pullover und verschwand im Türkis. Ich hoffte, dass sie in der Küche selbst für ihren Kaffee sorgen würde, bei geschlossener Tür. Vielleicht fand sie irgendwo ein Buch, das sie mir geliehen hatte, was dann für sie der Anlass war, über den Schriftsteller zu reden, meistens ausführlich, denn ein Leben dauert lang. Sie würde sich auch wieder über das Ausleihen und Nie-Zurückbekommen von Büchern aufregen – eine Geschichte, die ich immer langweilig fand, da ich mich nie angesprochen fühlte, ich gab geliehene Bücher immer zurück.
    „Carla, please“, sagte ich, weil sie wissen wollte, was mit mir los war. Ich sagte, dass sie mich an die sich drehende Uhr über dem gestreiften Gebäude der Sparkasse erinnerte. Die Uhr drehte sich und drehte sich, aber sie zeigte nie die richtige Zeit an, und das ärgerte mich.
    „Es ist ungefähr zehn nach sieben“, sagte sie.
    „Das habe ich nicht gefragt“, sagte ich.
    „Trotzdem sage ich dir, wie spät es ist“, antwortete sie.
    Ich machte den Mund auf, aber beherrschte mich.
    Sie machte Kaffee, sie war vorsichtig, hatte die Botschaft verstanden.
    Ich kam zur Ruhe. Ich lehnte mich sogar an den Rand des Waschtisches und betrachtete mich im Spiegel, ohne dabei ein Gespräch über das Wie und Warum des Herzens und der Seele und des Verlangens zu führen. Ich sah mich an und erkannte den unbekannten Mann wieder, wie er müde zusammensackte und froh zu mir aufsah und sich mir andiente.
    Gerade als ich mir sein Schimpfen erneut anhörte, stellte sich Carla in die Badezimmertüre. Sie lehnte sich gegen den Türstock, den Unterarm unter der Brust und darauf den Ellenbogen, in der Hand eine Zigarette. Sie wusste, wie sehr es mich störte, wenn sie bei mir im Haus rauchte. Ihr Tabak stank bis in die Apotheke. Ungeachtet dessen sagte sie: „Jetzt erzähl schon.“
    Ich sagte, dass sie etwas lesen sollte, einen Zeitungsartikel, ein Buch. Konnte sie sich nicht ein Mal still beschäftigen? Ich war um diese Uhrzeit nicht bereit, ihr von den zuletzt erlebten Stunden zu erzählen. Sie erzählte nie etwas, sie hatte alle Ruhe, was hatte sie den vergangenen Tag eigentlich so erlebt?
    Ich ging in das Zimmer, öffnete ostentativ ein Fenster und wedelte mit den Händen durch die Rauchfäden, die sie überall hinter sich herzog und die blau hängen blieben. Ich sagte, dass sie über die Fensterbank
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