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Graz - Novelle

Graz - Novelle

Titel: Graz - Novelle
Autoren: Luftschacht-Verlag <Wien>
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hinausrauchen solle, und dass sie aufpassen solle, denn dabei sind schon viele aus dem Fenster gefallen, mit einer Zigarette in der Hand. Carla drehte sich verwundert zu mir um. Sie sagte: „Hermann“ und schüttelte den Kopf, als ob sie gerade aus einem Traum erwachen würde. „Was hast du gegessen?“
    Ich sah sie an, wiederholte in meinem Kopf, was sie gerade eben gesagt hatte und erkannte die Worte wieder. Sie hätte auch schweigend ein Zündholz anzünden können, neben einer Zündschnur.
    „Carla“, sagte ich und holte tief Atem, denn ich wollte nicht explodieren. „Lass mich um Himmels willen den Tag so beginnen, wie ich es vorhatte. Trink Kaffee. Mach es dir gemütlich.“
    Sie sah mich unverwandt an. Ihr Mund blieb halboffen, weil ein Wort unterwegs war. Sie nickte. Sie drückte die Zigarette auf dem Fenstersims aus und blieb mit dem Stummel in der Hand stehen.
    „Gut“, sagte sie.
    „Gut“, sagte ich.
    Wahrscheinlich schreckte sie sich, weil ich die Treppen hinunterlief und das Haustor fester zuschlug, als ich eigentlich wollte. Ich bin mir fast sicher, dass sie sich aus dem Fenster hängte und mir nachsah und auf ihre Zunge biss, bis ich um die Ecke verschwunden war.
    In der Leonhardstraße war eine Türe, die nur von den Mietern benutzt wurde. Ich bekam den Schlüssel fast nicht ins Schloss. Meine Hände zitterten.
    In einem Schrank unter der Treppe befand sich das Material zum Schneeräumen. Ich zog Stiefel an, blickte durch die offene Türe nach draußen, schätzte, ob ich die Schneeschaufel brauchen würde, oder genügte mir der harte Besen? Ich nahm sie beide mit, die Schneeschaufel auf meiner Schulter, den Besen in meiner Hand, als ob ich in den Kampf zog.
    Auf der Türschwelle stieß ich auf die Hertz Mädchen. Wir erschraken alle drei.
    Ich sagte: „Mädchen“, als ob sie etwas Schreckliches getan hätten, und sie sagten: „Herr Eichler.“
    Ein paar Sekunden wussten wir nicht weiter. Die Mädchen wollten links an mir vorbei, ich wollte die Schaufel gegen die Mauer lehnen, wieder stießen wir fast gegeneinander. „Nach euch“, sagte ich.
    „Danke“, sagten die Mädchen, und sie grinsten kurz, zogen sich in ihren Kragen zurück und setzten ihren Weg fort. Ich sah ihnen hinterher, leckte an meinem Daumen und war stolz auf mich. Ich hatte mit den Hertz Mädchen gesprochen.
    Ich erhob sogar meine Stimme: „Ihr seid schon so früh unterwegs?“
    „Wir fürchten uns vor zusätzlicher Arbeit“, sagten sie.
    Ich runzelte meine Augenbrauen und fragte mich, wie lange es nicht her war, dass bei Hürlimann noch Plätze frei waren für neue Kinder. Dann erinnerte ich mich wieder an den Stromausfall.
    Ich sagte: „Ich würde mir keine Sorgen machen.“ Ich verstand auch nicht sofort, was die Störung an Mehrarbeit bedeuten konnte.
    Die Mädchen blieben an der Ecke stehen, vor der Türe der Apotheke.
    Sie drehten sich um und antworteten beide fast im Chor: „Wir müssen doch eine Zeitlang ohne Hilfe auskommen.“ Ich hörte mich ächzen. „Hilfe?“, sagte ich.
    Die Mädchen sahen in Richtung Zebrastreifen. Sie zwinkerten mit den Augen, um ihre Ungeduld im Zaum zu halten, und nannten einen Namen.
    Jochen.
    „Der Junge von gestern. Vom Unfall. Er arbeitete erst einen Tag bei uns. Nur ein paar Stunden eigentlich. Doch ein paar Stunden sind schon ein Haufen Arbeit.“
    „Ein Haufen Arbeit“, sagte ich zu unbedacht, wodurch die Mädchen wussten, dass ich wohl gehört hatte, was sie sagten, aber nicht wirklich zugehört hatte.
    Sie drehten sich zugleich um und überquerten die Straße. Es sah so aus, als ob sie mir ein klein wenig böse waren, die kalte Schulter zeigten, aber auf der anderen Seite blieben sie stehen und zeigten auf die Straßenbahnschienen. „Das ist hier auch eine gefährliche Stelle, wenn man diese Ecke nicht kennt. Man erwartet nicht, dass eine Straßenbahn so schnell von hinten auftauchen kann. Der arme Junge ist noch ausgewichen, wir sahen es vom Keller aus passieren, die Straßenbahn hat ihn nicht einmal berührt. Er fing auf einmal ungeschickt zu taumeln an und dann erledigte die Schwerkraft den Rest. Manchmal kann man sich einfach nicht mehr geradehalten.“ Als ob sie es einstudiert hätten, streckten die Mädchen ihre Arme hoch. Aus der Ferne schienen sie vorzuspielen, was man tun muss, um Gleichgewicht zu bewahren, aber es war ein schlampiges Wedeln, was sie machten.
    Sie gingen die Veranda des Parkhotels entlang, grüßten die Mädchen und die Gäste, die da
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