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Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)

Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)

Titel: Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Autoren: Manfred Bomm
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überstehe weitaus mehr als diese normalen Urkräfte der Natur.
Ob er sich damals, in jener Septembernacht, genauso beruhigen konnte? Sie griff
instinktiv zu dem goldenen Halskettchen, das er ihr vor dem Abflug geschenkt
hatte, und das sie seither stets trug. Oft, wenn sie in tiefe Trauer verfiel,
umklammerte sie den kleinen, filigran ausgearbeiteten Anhänger, der eine
Posaune darstellte. »Sie soll dir immer schöne Melodien spielen – auch
wenn du mal traurig bist und du glaubst, die Welt geht unter.« Die Worte
klangen ihr immer noch nach. Seit 14 Jahren. Hatte Mario eine Vorahnung gehabt,
als er damals, wie schon viele Male zuvor, in die USA flog? Er war ungewöhnlich
sensibel, und manchmal erschien es ihr, als habe er einen siebten Sinn, der ihn
Vergangenes und Zukünftiges erahnen ließ.

6
     
    Mario Waghäusl versuchte, das Chaos
um sich herum auszublenden. Mit der Sturheit eines knallharten Geschäftsmannes
und dem Wissen, dass auch panisches Verhalten nichts verändern würde, saß er da
und betete. Er, der noch bis vor wenigen Minuten über Geldgeschäfte und
Finanztransaktionen nachgedacht hatte, klammerte sich plötzlich an eine große
Macht, von der er nicht einmal so genau wusste, ob er an sie glauben sollte.
Doch wenn es sie gab, dann konnte nur sie allein die Katastrophe noch
verhindern. Falls sie nicht vorbestimmt war. Oder es nur ein grausamer Zufall
war, dass er und die anderen 228 Menschen ausgerechnet mit dieser Maschine nach
Genf hatten fliegen wollen. Vielleicht war für sie alle zu dieser Minute die
Zeit abgelaufen. Es gab Zufälle. Auch grausame.
    Nur
Dirk hatte sich allem entziehen können. Dirk, dem in New York ein
geschäftlicher Termin dazwischen gekommen war. Hatte ihn ein gnädiges Schicksal
vor diesem Flug bewahrt? War auch dies Zufall gewesen?
    Waghäusl wehrte sich gegen
solche Gedanken. Er mochte sich auch nicht vorstellen, was sich vorn im Cockpit
von Swissair 111 in diesem Augenblick abspielte. Flugkapitän Frohberger und
sein Kollege entschieden, über der Meeresbucht abseits von Peggy Cave einen
Großteil des Treibstoffes abzulassen. Mit vollen Tanks war der Airliner für
eine Notlandung zu schwer – und außerdem wäre es auch viel zu riskant. Doch bevor sie die
nötigen Einstellungen vornehmen konnten, verlangte die Flugverkehrskontrolle
erneut die Zahl der Passagiere und die Treibstoffmenge. Frohberger schluckte
und holte unter seiner Sauerstoffmaske tief Luft. Er wollte sich nicht anmerken
lassen, wie sehr ihn die vergangenen Minuten mitgenommen hatten. »215
Passagiere und 14 Besatzungsmitglieder«, meldete er monoton und bemerkte nicht,
dass seine Konzentration nachließ. Die 230 Tonnen, die er als Treibstoff-Menge
nannte, waren das Gewicht des gesamten Flugzeugs.
    Unter
den Sauerstoffmasken der beiden Piloten sammelte sich Schweiß. Inzwischen quoll
dicker dunkler Qualm aus den Lüftungsschlitzen.
    Knapp
13 Minuten, nachdem sie den seltsamen Geruch erstmals bemerkt hatten, drehten
sie auf Anweisung der Fluglotsen von Moncton auf Südkurs. Eine halbe Minute
später signalisierte ein Warnton, dass sich der Autopilot abgeschaltet hatte,
worauf Riedel, der Copilot, instinktiv zur manuellen Steuerung griff. Ihm war
heiß. Sein Puls raste. Er spürte plötzlich Todesangst in sich aufsteigen. Auch
seinem Kollegen schien die angelernte Ruhe verloren zu gehen.
    Augenblicke
später setzten sie gleichzeitig einen ›Emergency Call‹ ab – einen
Notfall allerhöchster Priorität.
     
    In der Kabine hatte sich die
erste große Unruhe wieder etwas gelegt. Die meisten Passagiere saßen mit
angezogener Schwimmweste kreidebleich auf ihren Plätzen. Paare hielten sich
gegenseitig mit den Händen fest oder umarmten sich und sprachen sich Trost zu.
Frauen und Männer schluchzten gleichermaßen. »Wir sollten alle beten«, rief ein
älterer Herr von hinten. »Wir werden alle sterben.«
    Mario
Waghäusl auf Platz 21 A kämpfte inzwischen gegen heftige Magenkrämpfe. Sein
Blutdruck war nach oben geschossen. Er schwitzte und zitterte am ganzen Körper.
Nur nichts anmerken lassen, befahl er sich. Sein Nebenmann, ein
jung-dynamischer Geschäftsmann mit viel Gel in den Haaren, hing mit entsetzt
aufgerissenen Augen apathisch im Sitz.
    »Das wird
schon«, flüsterte ihm Waghäusl zu. »Notlandungen gibt es immer mal. Das kann
vorkommen.« Seine Stimme verriet jedoch, dass ihn selbst die Panik ergriffen
hatte. Ihm war die Überzeugungskraft der vergangenen Tage völlig
abhandengekommen. So sehr
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