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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter
Autoren: Grimms Woerter
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Quasselstrippe,
    ruckzuck ans Ziel kam, worauf mich Fräulein Y,
    meine heimliche Liebe, in Yogastellung erwartete,
    mir dann aber Rache schwor,
    weil ich in rückläufigen Gedanken
    Rettung beim rollenden R gesucht,
    mich zuvor aber, sattsam getröstet,
    bei den Schwestern S und T verschlafen hatte,
    weshalb ich fürs Z, so zärtlich ich tat,
    ein Jahrhundert zu spät kam.
    So
ist es mit der Zeit. Sie will in ihrem Ablauf vergangen, gegenwärtig, zukünftig
sein. Mir aber bleibt sie durchlässig und jederzeit zugänglich, wie allseits
der Tiergarten. Deshalb kann ich sagen, vorhin noch wüst, dann halbwüchsig,
wenig später dezemberlich kalt, ist er mittlerweile zu hochwüchsigen Bäumen
gekommen, die, weil jetzt sommerliche Hitze herrscht, schützende Schatten
werfen. Beinahe gleicht er wieder jener vom Großgärtner Lenne erträumten und
trotz knausriger Könige weitläufig gestalteten Parklandschaft, in der sich die
Brüder Grimm ab 1840 ergingen; damals, als der Goldfischteich noch Venusbassin
hieß.
    Nunja,
inzwischen stört der Autoverkehr mit Abgasen und schwankendem Lärmpegel. Aber
schon Jacob nahm an zu vielen Kutschen und Kremsern Anstoß. Trotz Verbot
rollten sie auf Nebenwegen. Herrenreiter blickten auf die Brüder herab.
Damenkränzchen kreischten am Zeltenplatz, so daß dort kein Bleiben war.
    Weil
zu Lebzeiten wie aus der Zeit gefallen, wirkten sie gestrig und gegenwärtig
zugleich. Und weil ihre Zeitweil, wie von mir oft gewünscht und ins Bild
gesetzt, von dehnbarer Dauer gewesen ist, erlaubte der letzte Buchstabe des
Alphabets, meine und ihre Zeit in Vergleich zu bringen.
    Sobald
es bei meinen Tiergartenversuchen gelang, die Brüder in die vom Krieg gebliebene
Kübelwagenkarosserie, vorher und später auf die eine oder andere Bank zu
setzen, kamen wir, wenn ich geduldig blieb, ins Gespräch, und konnte ich ihnen
zeitgenössische Wörter wie Zeitmaschine, die Radiosendung »Zeitzeichen« und als
Zitat Ingeborg Bachmanns »gestundete Zeit« anbieten.
    Dann
wieder gerieten wir zu dritt über Theodor Fontane ins Plaudern, der wie die
Grimmbrüder ein Tiergartenliebhaber gewesen ist. Als er mir in dem
zeitaufhebenden Roman »Ein weites Feld« zum Wiedergänger Fonty wurde und gleich
nach der Einführung der harten DM-Währung im Tiergarten begegnete, verwunderte
er sich über die vielen Türken und hechelnden Jogger. Angesichts eines Haubentauchers
kamen ihm Fluchtgedanken. Er versuchte zeitflüchtig zu entkommen: ab nach Schottland...
    Althochdeutsch
zit, mundartlich tid. Es brauchte Zeit, bis aus zeyt die Zeit wurde. Zu meiner,
deiner, zu unserer. Schon Hans Sachs spricht vom »zeit vertreiben«. Bei Paul
Gerhardt hält »gottes zeit ihren schritt«. Außerdem rast sie, schleicht heran,
ist flüchtig. Von der unermeßlichen Zeit zur bemessenen, der Uhrzeit. Seitdem
kann man zu spät, zu früh, zur Unzeit ankommen, aber auch allgemein unzeitgemäß
sein. Platen wurde »des jetzigen Zeitabschnittes erster tragiker« genannt. Von
Schlegels Geist der Zeit über Hegels gallopierenden Weltgeist bis zum jeweils
waltenden Zeitgeist lassen sich Wörter mit Wörtern kuppeln.
    Was
Fontane betrifft, den ich als Fonty in zeitraffender Bilderfolge auftreten ließ
und zum Zeitzeugen der wiederholt mißglückten Einheit Deutschlands machte,
finde ich im Band einunddreißig zum Stichwort Zeit nur »ich habe keine zeit,
ein andermal« zitiert. Gerne fände ich mehr, ist Fontane doch seinerzeit für
die »Kreuzzeitung« und die »Vossische« als Zeitungsschreiber tätig gewesen.
Doch findet sich stellvertretend für dieses allzeit dem Spott ausgesetzte
Gewerbe Goethes Zweizeiler: »der Zeitungsschreiber selbst ist würcklich zu
beklagen, gar öfters weis er nichts und oft darf er nichts sagen.«
    Gewünscht
hätte ich mir, in zeitbezüglichen Spalten den Zeitungsfritzen mit wie ohne
Zitat zu finden, diesen flüchtigsten aller Zeitgenossen, der immer zeitgemäß,
zeitnah zu sein hat; während ich mittlerweile wie außer der Zeit bin, immerfort
ihren Ablauf rückspule, mich in diesem, in jenem Jahrhundert und dessen
Zeitgeschehen verliere, jetzt - doch was ist jetzt? - zur Zeit kurz vorm
Mauerbau wiederum den Tiergarten absuche; aber ich finde die beiden weder nahe
dem Lortzingdenkmal noch am Goldfischteich. Erst als ich eine hagere Greisin,
die sich mit dem Urenkel an der Hand die Zeit vertreibt, um Rat bitte und ihr
die Grimmbrüder bis ins altfränkische Detail ihrer Kleidung beschreibe,
erinnert sie sich und weist
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