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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter
Autoren: Grimms Woerter
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wünschte, dem Volk nicht besser
getan?«
    »Wird
der Bestand des zweigeteilten Vaterlands von Dauer sein?«
    »Ist
man gar, wie zu unserer Zeit, nach Metternichschem System bestrebt, sich
wechselseitig zu bespitzeln?«
    Und
weitere Fragen. Wilhelm will wissen, warum in dem ominösen Band siebzehn, in
dem sechzig Spalten lang das Stichwort Staat übermächtig bis hin zum
Staatszweck betont werde, dennoch das Bedürfnis nach Staatssicherheit zu kurz
komme. Seiner Sicht und seinen achtundvierziger Erfahrungen entsprechend
erweise sich, die allgemeine Sicherheit betreffend, der einzige Hinweis auf
Kants Rechtslehre als unzureichend. Mit Fingerzeig wird' mir bedeutet: »Man
darf wohl von jemandem, der sich als Mann des Wortes zu erkennen gibt und
ständig mit neudeutschen Wörtern prahlt, zusätzliche Erklärungen erwarten!«
    So
direkt und wie von Staats wegen angesprochen, bequeme ich mich zum Rückblick
und berichte den Grimmbrüdern anhand meiner Stasipapiere von einer
Ost-West-Begegnung besonderer Art.
     
    Die
Hauptabteilung XX/7 des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen
Republik war am 20. Juni 1988 über ein Treffen von Vertretern der
Schriftstellerverbände beider deutscher Staaten informiert, das zwei Tage zuvor
im Schriftstellererholungsheim »Friedrich Wolf« in Petzow am Schwielowsee
stattgefunden hatte.
    Dieser
mir kürzlich mitsamt anderen Papieren ausgehändigte Bericht von fünfeinhalb
Seiten Umfang, gefertigt in sechs Exemplaren, der zu zweitausend und mehr mich
betreffenden Seiten Stasimaterial gehört und in dem ich im Verlauf dreier
Jahrzehnte unter dem Decknamen »Bolzen« erfaßt bin, gibt, nachdem er lange
unter Verschluß lag, nunmehr Auskunft, was zur Zeit von Glasnost und Perestroika
für einen Streit taugte, der immer noch Wort für Wort nachhallt; denn wie im
Umfeld der Brüder Grimm, so waren danach vernetzte Sicherheitssysteme und
Spitzeldienste gefragt. Ab der Demagogenverfolgung, als Friedrich von Gentz und
der jüngere Schlegelbruder sich Metternich angedient hatten, bis hin zur
gegenwärtigen Epoche neuzeitlicher Datenspeicherung und eilfertiger
Informantentätigkeit: das liest sich, sobald Papiere ans Licht kommen, wie ein
Endloskapitel deutscher Geistesgeschichte.
    Beim
Treffen am Schwielowsee gehörte ich als Beisitzer zum Vorstand des
Schriftstellerverbandes der Bundesrepublik. Im Protokoll der Hauptabteilung
XX/7 werden die beiden deutschen Staaten stets DDR und BRD, hingegen jeder
Teilnehmer voll ausgeschrieben beim Namen genannt. Unser konträres Gegenüber
während der zwei Tage lang anhaltenden Wortgefechte um Personen und Fakten
sind Hermann Kant und Gerhard Henniger, der eine ist Präsident des
DDR-Verbandes und Mitglied des Zentralkomitees der SED, der andere 1. Sekretär
des SV. Die Namen jener ostdeutschen Autoren, die als Präsidiumsmitglieder
zumeist verlegen beiseite blickten, angestrengt schwiegen oder Kant und
Henniger parteilich zustimmten, will ich schonen; sie werden für ihr
ängstliches oder angepaßtes Verhalten Gründe gehabt haben, die zu beurteilen
mir nicht zusteht.
    An
meiner Seite saß Anna Jonas als Vorsitzende unseres Verbandes. Um Alltägliches
wurde gestritten, etwa um einen Artikel in der Parteizeitung »Neues
Deutschland«, gerichtet gegen den Schriftsteller Jürgen Fuchs, gleichfalls um
die Anna Jonas zuvor verweigerte Genehmigung einer Einreise in die DDR. In
beiden Fällen wurde, wie mit Schreibmaschine getippt steht, »die Position des
SV der DDR« erhärtet.
    Bevor
wir uns stritten, ging es, was nicht im Protokoll steht, witzelnd und abtastend
freundlich, fast kumpelhaft zu. Man gab sich fähig, mit ironischen
Zweideutigkeiten zu spielen: das übliche Literatengeplauder. Doch nach der
Begrüßungsrede Hennigers, die nichtssagend war, kam Kant zur Sache. Er sprach
lange über den wünschenswerten Beitrag beider Verbände zur »Unterstützung des
Kampfes der Völker für Frieden und Abrüstung«. Weil aber sein Appell einzig die
in Westdeutschland stationierten US-amerikanischen Mittelstreckenraketen und
deren atomare Sprengköpfe im Blick hatte, nicht aber die nuklearen Vernichtungswaffen
sowjetischer Bauart mit Standorten in Ostdeutschland, gab es keinen Grund,
seinen Appell zu unterstützen. Unser Hinweis auf die in der DDR merklich
lauter werdende und kaum noch zu unterdrückende Friedensbewegung »Schwerter zu
Pflugscharen«, die sich gegen beide Raketensysteme aussprach, wurde überhört
und nicht ins Stasi-Protokoll
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