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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter
Autoren: Grimms Woerter
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kommen, macht Hoffnung auf
Zukunft, hört ihr, Zukunft! Alles, was der Partikel zu anhängt, ist zugelassen,
bis hin zum Zuzug.
    »Jadoch!«
rufe ich im August fünfundfünfzig und springe von der Tiergartenbank auf, »Das
Z wird vor dem W fertig!«
     
    Aber
die Grimmbrüder wollen sich nicht zu mir setzen. Es hat den Anschein, es finde
mein Bericht über alles, was zur Zahl rechnet, zum Ziel führen könnte, was
spaltenlang und zuletzt dem Zwang zuzuschreiben ist, weder des einen noch des
anderen Ohr. Wahrscheinlich ergehen sie sich auf neuangelegten Wegen zwischen
halbwüchsigen Birken. Schon beginne ich, sie zu suchen, bin ihnen wie eh und je
hinterdrein.
    Erst
in Nähe des Englischen Gartens - eine Spende der vormals bombenwerfenden
Briten, die kürzlich Eichenpflänzlinge aus dem Windsorpark lieferten - erkenne
ich sie: weißhaarig und in ihre biedermeierlichen, nunmehr von keinerlei
Mörtelstaub gepuderten Gehröcke gekleidet, sind sie ganz und gar in ein Gezänk
versponnen, das sich seit Jahr und Tag zwischen den Herausgebern Schröder und
Roethe einerseits und dem Bearbeiter Heinrich Meyer andererseits hinzieht.
    Wenige
Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges bot das Stichwort Stehen Anlaß. Bereits
der Artikel dazu mißfiel wegen Weitschweifigkeit. Als der Band zehn, erster
Teil - bei mir Band siebzehn -, endlich erscheinen durfte, hatte es allein des
berüchtigten Stehens wegen Jahrzehnte währenden Stillstand gegeben;
Zeitspannen, auf deren Wegstrecken sich Krieg und Frieden wie beim
Stafettenlauf den Stab gaben.
    Im
Gehen, nun entlang einem Rosenbeet, empören sich Jacob und Wilhelm über die
mehr als dreihundert Spalten, die Meyer benötigte, um vom Stehen auf die
Stehlampe zu kommen. Ach, könnten sie doch lachen. Aber nein, ernst,
bitterernst geht es zu.
    Jacob höre ich rufen: »verstehe doch einer diesen
Meyer!«
    Wilhelm pflichtet bei: »War wohl nicht bei
Verstand!«
    »Ständig,
als brauche und suche er Beistand, beruft er sich auf meine Grammatik, so mit
einem Sachs-Zitat: »jedes nach seiner art da stund.««
    »Und
wie selbstverständlich zitiert er den von mir hochgeschätzten Kleist, den du,
strenger Bruder, nicht zitiert sehen wolltest: >der brei ist dick, dasz schon
die kelle stehet<.«
    »Weit
über dreihundert den Leser ermüdende Spalten allein zum Stehen, ganz ohne Zweck
und Sinn.«
    »Wen
wundert es, wenn Schröder und Roethe, die wir beide als tüchtig ansehen dürfen,
zornig wurden und in ihrem Zorn zeitweilig ins Zetern gerieten...«
    Bevor
die Grimmbrüder wieder mit Zank und Zwist und dem soeben berufenen Zorn
Wortfelder, auf denen der Buchstabe Z wuchert, zu beackern beginnen, spreche
ich dazwischen, laut, unüberhörbar, inmitten der Rabatten des Englischen
Gartens, den ein halbhoher Zaun schützt. Ich erinnere sie an den Zeitpunkt
unseres diesmaligen Treffens, weise auf das zwischen Ost und West umstrittene
Ehrenmal der Roten Armee beiseite der Siegesallee hin, rufe, »Die Stadt ist
zweigeteilt!« und nehme Zukunft vorweg: »Irgendwann wird eine Mauer die
Teilung festigen.«
    Um
so deutlicher lobe ich noch einmal den so stillen wie unablässigen Fortgang der
Arbeit am Wörterbuch, »drüben in der östlichen Stadthälfte und fernab in
Göttingen«. Mehrmals betone ich: »Göttingen! Die Universitätsstadt! Der Ort
eurer Protestation und Schandfleck der Entlassung.«
    Erst
nachdem ich ihnen ein Signal aus weit entlegener Zeit gegeben habe, horchen die
Brüder auf. Verflogen scheint ihre Schwerhörigkeit. So finden wir doch noch ins
Gespräch. Sie erinnern sich kleinteilig an das Verhalten der feige kuschenden
Professoren, und ich behaupte zu großmäulig, ohne Entlassung und die damit
verbundene »unfreiwillige Muße«, wäre es wohl nie zum Angebot der Verleger
Reimer und Hirzel gekommen, mit einem Wörterbuch Sprachgeschichte zu machen:
»Dort hättet ihr in Ruhe Rost ansetzen können!«
    Sie
widersprechen nicht. Wilhelms Gesichtszüge deuten sogar ein Lächeln an, als
wäre ihm insgeheim der Verzicht auf die Mühsal der Wortklauberei genehm
gewesen.
    Genehm,
geheim, verlockende Stichworte. Schon wollen die Brüder mehr über die zwar von
Behörden genehmigte und doch heimlichtuende Zusammenarbeit der Arbeitsstellen
Ost West erfahren.
    »Was bedeutet Kalter Krieg?«
    »Wäre
nicht nach Kriegs- und Hungerzeiten für die geplagten Menschenkinder etwas
Dienlicheres zu finden gewesen als Kommunismus dort und Kapitalismus hier?«
    »Hätte
ein wohlwollender König, wie Bettine ihn
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