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Grappa 06 - Grappa und der Wolf

Grappa 06 - Grappa und der Wolf

Titel: Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Fotos?«, fragte ich.
    »Spätestens morgen früh hast du sie im Redaktionsbriefkasten«, versprach er.
    Ich nickte und kramte mein Handy aus der Handtasche. »Also – tschüss. Ich läute den Kriminalkommissar vom Dienst an. Ich ruf dich morgen früh an. Bis dahin weiß ich auch, wer der Tote ist.«
    Willi packte seine Klamotten und verschwand zwischen den Bäumen. Ich wählte die Nummer der Polizeileitstelle.
    Zehn Minuten später wimmelte der Wald von grünen Uniformen und beigen Trenchcoats.
    Ich hatte mich für die Wahrheit entschieden. Hauptkommissar Brinkhoff notierte eifrig, was ich ihm erzählte: Vom mysteriösen Anruf eines Fremden und dem Versprechen auf eine Exklusivgeschichte. Die Frage, warum ich die Polizei nicht vor dem Waldspaziergang angerufen hatte, schenkte er sich. Wir kannten uns seit Jahren, und Brinkhoff stellte nie gern Fragen, auf die er ohnehin keine vernünftigen Antworten bekommen hätte.
    »Warum geraten Sie immer wieder in solche Geschichten?«, wollte er wissen, als er seinen Block einpackte.
    »Journalisten stehen im öffentlichen Leben«, schwadronierte ich, »das wissen Straftäter. Außerdem suchen viele Verbrecher das Licht der Medienöffentlichkeit, weil sie sich gerne ihrer Taten brüsten. In fast jedem amerikanischen Thriller sucht sich der Mörder einen Journalisten seiner Wahl, der ihn und seine Taten begleitet. Glauben Sie bloß nicht, dass ich mich um solche Storys reiße.« Der letzte Satz war ziemlich gelogen.
    Brinkhoff konnte nichts entgegnen, denn sein Funkgerät knirschte. »Augenblick«, sagte er und wandte sich ab. Ich spitzte die Ohren.
    »Wir haben eine Vermisstenmeldung, auf die Ihre Beschreibung passt«, schepperte eine Stimme. »Hat der Tote besondere Kennzeichen?«
    »Ein Ohr zu wenig«, entfuhr es mir.
    Brinkhoff grinste. »Wie lautet der Name der vermissten Person?«, befragte der Hauptkommissar das Gerät.
    »Hermann Lasotta, 55 Jahre, einsfünfundachtzig, zirka 95 Kilo. Seit zwei Tagen abgängig.«
    »Wer ist der Mann?«
    »Er ist Direktor einer Wohlfahrtsorganisation. Augenblick … ich muss nach dem genauen Namen fragen.«
    »Hilfe ohne Grenzen«, murmelte ich.
    Brinkhoff blickte überrascht auf. Bevor er etwas fragen konnte, machte ich mich davon.

Vergoldete Realitäten
    »Der Mann war in Bierstadt eine bekannte Größe, war im Lionsklub und im Vorstand des Golfklubs. Er war katholischer als der Papst und hilfsbereiter als Mutter Teresa. Und nun hängt diese Lichtgestalt tot zwischen zwei Birken, ihm fehlt ein Lauscher, und wir haben tolle Exklusivfotos …«
    »… die illegal beschafft worden sind!«, ergänzte Viep.
    »Selbst wenn!«, rief ich aus. »Warum eine so tolle Story durch Legalität verderben? Das ist unjournalistisch und dumm!«
    Der Mann, der für die Seite ›Aus aller Welt‹ zuständig war, hatte mal wieder keinen Blick für das Wesentliche, das nun mal in aller Welt geschah.
    »Der Mörder ruft bei unserer Zeitung an«, lamentierte Viep mit einem schmerzlich verzogenen Gesichtsausdruck, »und unsere Reporterin schleicht tatsächlich in den Wald und knipst die Leiche. Ohne zuerst die Polizei zu informieren. Bei welchem Revolverblatt arbeite ich eigentlich?« Viep blickte angewidert in die Runde, an der heute nur sechs Kollegen teilnahmen.
    Chefredakteur Knall war bei einem Hintergrundmittagessen mit einem Firmenboss, so hatte er ausrichten lassen. Er sollte eine Gesprächsrunde zum 75-jährigen Bestehen des fraglichen Betriebes moderieren. So konnte er die Konferenz nicht sonderlich stören. Peter Jansen war aber da, und das war Glück für mich.
    »Grappas Story ist der Aufmacher von morgen«, bestimmte Jansen kategorisch. »Als Zeitung, deren Auflage nicht gerade in die Höhe schnellt, sollten wir für jede Exklusivgeschichte dankbar sein. Klar, dass sich alle Medien heute drauf stürzen. TML hat auch Bilder, wie ich von der Kollegin Grappa weiß. Aber wir sind das einzige Printmedium, das den Toten morgen früh im Blatt haben wird. So dezent wie nötig, und so deutlich wie nötig. Eingebettet in eine gut recherchierte Geschichte. Schaffst du 120 Zeilen?« Jansen sah mich fragend an.
    »Ich protestiere!« Es war wieder Viep. Die anderen Kollegen stöhnten auf.
    »Die Diskussion ist beendet!«, brüllte Jansen. Seitdem ihm zugetragen worden war, dass Viep versucht hatte, seinen Job während seiner Krankheit zu ergattern, war das Verhältnis zwischen den beiden auf dem Gefrierpunkt angelangt. Sie hatten sich nie gemocht – der
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