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Grappa 06 - Grappa und der Wolf

Grappa 06 - Grappa und der Wolf

Titel: Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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ihn. Der Mann stand ziemlich aufrecht, auch wenn seine Füße nicht wirklich den Boden berührten. Jemand hatte seine Arme an die Stämme zweier Birken gebunden, um dem Körper Halt zu geben.
    Willi Wurbs startete seine Kamera. Dann reichte er mir ein weißes Blatt. »Hältst du mal?« Er brauchte einen Weißabgleich, um die Farben richtig einzustellen. Ich hielt das Blatt vor das Objektiv. »Okay, ich habs.«
    Willi pirschte sich näher an den Mann heran. Ich hielt mich hinter ihm, sah mich dabei nach rechts und nach links um. Dort war niemand. Der Specht hämmerte erneut. Der Waldboden dampfte.
    »Kannst du mal den Kopf anheben?« Willi war in seinem Element.
    »Vergiss es«, schauderte ich, »ich fasse keine Leiche an.«
    »Willst du ordentliche Bilder oder nicht?«, blaffte er.
    Das Argument hatte was. Ich ging rechts am Körper des Mannes vorbei und trat hinter ihn.
    »Fass ihn an den Haaren, und zieh den Kopf etwas nach oben!«, kommandierte Willi. Seine ergebnisorientierte Kaltblütigkeit erstaunte mich. Langsam hob ich die rechte Hand und griff ins Haar des toten Mannes. Es fühlte sich zum Glück völlig normal an. Sachte zog ich den grauen Schopf nach oben.
    »Reicht das?« Meine Stimme zitterte ein wenig.
    »Ja. Aber deine Hand ist im Bild. Tritt direkt hinter ihn. Ja, so könnte es gehen.« Die Kamera lief, das Licht blendete mich. Ich schloss die Augen. In welchem Horrorfilm war ich?
    »Du kannst ihn loslassen. Ich brauche noch ein paar Totalen vom Tatort. Gehst du bitte aus dem Bild?«
    Ich gehorchte. Willi machte noch ein paar Schwenks und Ranfahrten, dann knipste er das Licht aus.
    Danach waren die Fotos dran. Ich musste den Kopf des Toten wieder anheben, nach zehn oder zwölf Blitzen war ich erlöst.
    »So, dann wollen wir uns den Mann mal ansehen.« Es klang verdammt geschäftsmäßig.
    Wurbs trat frontal auf den Toten zu, setzte seine Hand unter dessen Kinn und hob den Kopf. Der Mann war um die Fünfzig, hatte graues, dichtes Haar, buschige Augenbrauen. Die Lider waren geschlossen, die Mundwinkel hingen herab. Er wirkte traurig. Aber er hatte ja auch wenig zu lachen.
    Ich betrachtete seine Kleidung. Der Anzug war komplett, grau oder braun – ich konnte die Farbe in der Dämmerung nicht richtig erkennen. Obwohl der Körper des Toten ein wenig nach vorn geneigt war, hatte er eine ziemliche Größe. Willi öffnete die Knöpfe der Jacke und suchte in der Innenseite nach Papieren.
    »Kein Ausweis oder so. Kennst du ihn vielleicht?«, wollte Willi Wurbs wissen.
    »Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß, »und du?«
    »Irgendwo hab ich ihn schon mal gesehen. Aber ich kann mich auch irren. Das Licht ist verdammt mies. Ist ja auch egal. Die Bilder sind im Kasten. Klappe zu, Affe tot.«
    Unschlüssig standen wir noch eine Weile vor dem toten Mann, mit dessen Haar der Wind spielte. Ein leichter Hauch eines teuren Herrenduftes zog in meine Nase. Willi setzte die Kamera auf dem Waldboden ab und ging langsam um den Körper herum.
    »Hier, schau!« Er hatte etwas entdeckt.
    Zögernd trat ich näher. Willi deutete mit dem Finger auf die rechte Kopfseite. »Sein Ohr ist weg«, meinte er lapidar.
    Tatsächlich. An der Stelle, an der normalerweise die Ohrmuschel saß, war nur eine blutverkrustete Wunde.
    »Mir wird schlecht«, kündigte ich an.
    »Reiß dich zusammen«, befahl Willi, »kotzen kannst du später. Jetzt müssen wir die Bullen rufen.«
    »Okay«, nickte ich, »es wird Zeit, dass sich Experten der Sache annehmen. Du verschwindest jetzt am besten, sonst nehmen dir die Grünen noch den Film und die Bilder weg.« Es wäre nicht das erste Mal, dass Wurbs solche Erfahrungen mit Vertretern des Gewaltmonopols des Staates machen würde.
    Dann fiel mir noch eine wichtige Frage ein. »Wie ist er eigentlich umgebracht worden?«
    »Keine Ahnung. Es ist zu dunkel.«
    »Mensch, Willi! Das ist wichtig. Kannst du nicht noch mal nachgucken?«
    Willi Wurbs gab einen genervten Laut von sich, trottete dann aber wieder zur Leiche hin. Er öffnete das Jackett und tastete den Oberkörper des Toten ab. »Hier, da ist Blut. Noch feucht. Also Herzschuss. Zufrieden, Grappa?«
    »Schrecklich«, murmelte ich, »ein Mensch ist gestorben. Und wir stehen hier, um ihn zu vermarkten. Findest du nicht, dass wir einen grausamen Beruf haben?«
    »Lass gut sein. Bei mir brauchst du nicht zu heucheln. Du bist genauso geil auf Exklusivstorys wie ich. Du zeigst es nur nicht so.«
    Es hatte keinen Sinn zu widersprechen.
    »Wann krieg ich die
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