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Granger Ann - Varady - 02

Titel: Granger Ann - Varady - 02
Autoren: Denn umsonst ist nur der Tod
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mir
wie ein sechs Meter großer, Menschen fressender Riese aus
einem Märchen, drohte mit dem Finger und intonierte: »Ich
sehe, aus dir wird ein böses kleines Mädchen, Francesca Varady!«
Sie muss eine Hexe gewesen sein, denn von diesem Tag
an war wirklich der Wurm drin. Ich fand nie heraus, wie
man es Erwachsenen recht macht. Danach jedenfalls ging es
ununterbrochen bergab bis zu jenem fatalen Tag kurz vor
meinem sechzehnten Geburtstag, als ich gebeten wurde, die
Privatschule zu verlassen, die ich zu diesem Zeitpunkt besuchte.
Diese Schule war ein Treffpunkt für aufstrebende Mittelklassetypen und solche, die sich nur noch mit den Fingernägeln an ihre Jobs krallten, also kurz vor dem gesellschaftlichen Absturz standen. Die beiden Gruppen kamen lediglich
über ihre Töchter miteinander in Berührung. Die eine Gruppe von Schülerinnen wurde von scharfgesichtigen, wasserstoffblonden Müttern in schicken Autos abgeholt. Die andere
Gruppe von Frauen mit leeren Gesichtern in weiten Klamotten und mit alten Limousinen. Hin und wieder, wenn es
Bindfäden regnete, hielt eine aus der ersten Gruppe bei der
Bushaltestelle, wo ich stand, kurbelte das Fenster runter und
rief: »Spring rein, Liebes, ich bring dich nach Hause!« Die
anderen boten mir nie eine Mitfahrgelegenheit an und behandelten mich, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.
Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Tatsächlich gehörte
ich weder zur einen noch zur anderen Gruppe. Sie wussten
nicht, wo sie mich einordnen sollten. Ich hatte keine Mutter
in hautengen Designerfetzen, aber ich hatte auch keine in
einer weiten Barbourjacke. Ich hatte Großmutter Varady,
die am Tag der offenen Tür in einem abgetragenen schwarzen Samtkostüm und einer schiefen Perücke in der Schule
erschien. Sie behandelten mich wie einen Freak, und deshalb begann ich, mich wie einer zu verhalten, und das blieb
haften. Meine Familie hatte hart geschuftet und sich das
Geld für meine Schule vom Mund abgespart. Es machte mir
nichts aus, von der Schule zu fliegen, nur für Dad und
Großmutter Varady, die so viele Opfer für mich gebracht
hatten, tat es mir unendlich Leid. Und es tat mir Leid, dass
ich aus dem Schauspielkurs am örtlichen College flog. Ich
hatte das Gefühl, dort hineinzupassen. Mein Ausscheiden
allerdings war die Folge äußerer Umstände, die nicht meiner Kontrolle unterlagen, wie man so schön sagt: Großmutter starb ein Jahr, nachdem Dad gestorben war, und ich verlor mein Zuhause und alles, was damit verbunden ist. Eines
Tages werde ich es schaffen als Schauspielerin, Sie werden
schon sehen.
Bis dahin klang selbst die Anerkennung eines alten Wermutbruders wie Musik in meinen Ohren. Wie leicht wir
Menschen uns doch von Schmeicheleien umgarnen lassen!
»Danke«, sagte ich.
Er hebelte den Plastikdeckel von seinem Becher ab und
zitterte dabei so stark, dass ich unwillkürlich eine Warnung
hinzufügte, dass er aufpassen solle, sonst würde er sich verbrühen. Ich bezweifle, dass noch viel Gefühl in seinen Fingern steckte, die unter dem Schmutz weiß und abgestorben
aussahen. Die Nägel waren gelb und viel zu lang.
»Keine Sorge, junge Frau!«, antwortete er. »Wie heißen
Sie denn?«
»Fran«, antwortete ich.
»Ich bin Albert Antony Smith«, verkündete er einigermaßen schwungvoll. »Auch bekannt als Alkie Albie Smith.
Man nennt mich so, aber ich bin kein Alk. Alles Lügen! Ich
trinke gerne einen, wie jeder andere auch, na und? Ich wag
zu sagen, Sie trinken auch gern einen, nicht wahr, ein Glas
Wein vielleicht?« Er hustete, und ich wurde eingehüllt von
einer Wolke gasförmiger Relikte seiner letzten Begegnung
mit dem Rebensaft.
Ich rutschte auf der Metallbank vornehm ein Stück von
ihm weg und bejahte seine Frage, dass ich zwar gerne hin
und wieder Wein tränke, nicht jedoch jetzt, und falls er
glaube, dass ich ihm etwas Alkoholisches kaufen würde,
könne er das gleich vergessen. Der Kaffee wäre alles, was es
gäbe, und er solle das Beste daraus machen.
Sein verknittertes, stoppelbärtiges Gesicht war großporig
und übersät mit schwarzen Mitessern, wie ein Netz sah das
aus, und es entstand der Eindruck, er würde einen durch einen Schleier hindurch ansehen, wie sie die Hüte gehabt hatten, die die Filmschauspielerinnen in den vierziger Jahren
getragen haben. Mit diesem mitgenommenen Gesicht blickte er mich nun empört an, als er vehement abstritt, auch nur
im Entferntesten eine Idee wie diese gehabt zu haben.
Dann schlürfte er seinen
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