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Grafeneck

Titel: Grafeneck
Autoren: Rainer Gross
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damit, daß er wieder Uniform tragen kann.
    »Ich habe in Reutlingen angerufen«, sagt er und macht jetzt eine ernste Miene. »Morgen wird ein Kommissar vorbeikommen.«
    »Schön für dich«, meint Mauser nur und setzt sich auf seine Maschine.
    »Kannst du dich morgen bereithalten, den Kommissar an den Fundort zu führen?«
    Bereithalten. Mauser nickt nur. Dann setzt er den Helm auf, startet und fährt los.
    Er nimmt den Weg zur Schule. Die Wiesen sind noch gelb vom Wintergras. Durch den lichten Buchenwald schimmern die Felsen am Talrand. Keiner weiß, was er in der Schule tut. Keiner weiß, was für eine Rätselaufgabe er sich mitgebracht hat, an der er tüfteln kann. Nur wird die offizielle Untersuchung Ergebnisse zeitigen, zu denen er nicht kommen kann. Dazu fehlen ihm die wissenschaftlichen Mittel. Er stellt die Maschine vor dem Eingang ab und betritt das Gebäude. Aber ich hab Sachen in der Hand, denkt er, von denen die nichts wissen. Im Laborraum baut er das Mikroskop auf. Schüttet die Erdprobe aus dem Tütchen auf einen Objektträger. Erster Blick durchs Okular. Verschiebt den Objektträger. Wie er es sich gedacht hat.
    Pflanzenfasern.
    Moosreste.
    Das wächst nicht in der Höhle.
    Zu erwarten wären Tonteilchen und Kalkblättchen aus dem Oberen Weißjuramergel, der als Lehm in die Höhle eingeflossen ist.
    Stattdessen Humus. Gewöhnliche Walderde. Dazu braucht Mauser keine chemische Analyse. Das erkennt er mit dem bloßen Auge. Auch die Bankkalke aus dem Oberen Weißjura, Zeta Drei.
    Die Erde unter dem Fingernagel der Leiche stammt nicht aus der Höhle.
    Soweit ich weiß, denkt Mauser und schaltet das Mikroskop aus, reicht der Felsenkranz, in dem sich die Höhle befindet, bis zu Weißjura Zeta hinauf. Da oben müßte man sich mal umsehen.
    Natürlich könnte die Erde auch aus einer völlig anderen Gegend stammen. Aber er hofft, daß die Geschichte, die er zur Aufgabe bekommen hat, einfach sein wird. Sie wird sich nicht in zahllose Möglichkeiten verlieren.
    Nein, sie wird stimmig werden. Er ist überzeugt davon, daß die Erde nicht weit vom Fundort stammt. Die Leiche ist nicht weit transportiert worden. Dort oben wird er die erste Spur finden.

5
    Lerchensporn und Märzenbecher. Das dürre Laub vom Vorjahr raschelt bei jedem Schritt. Eine dünne Sonne gibt Helle zwischen den Bäumen. Mauser geht behutsam und schaut sich um. Sein Blick schätzt den Untergrund ab, auf dem er geht. Geomorphologie. Das Relief verrät, wie es darunter aussieht, verrät die Kräfte, die gewirkt haben, und das Material, das gestaltet wurde. Er geht das Gelände ab und stellt sich in Gedanken den Verlauf der Höhle vor. Er hofft, einen Hinweis darauf zu finden, wie die Lehmkammer durch einfließende Tone verplombt werden konnte. Durch feine Ritzen und Spalten muß der Mergel hinabgelangt sein. Das Mergelpaket liegt unter den Weißjura-Kalken, am Hang gibt es einen kleinen Aufschluß, wo man es sehen kann. Wenn es von oben keinen Zugang gibt, ist der Zugang zur Kammer, den Mauser genommen hat, der einzige. Dann wurde er erst verschlossen, nachdem der Mensch dorthin gelegt wurde. Und dann könnte eine Absenkung des Bodens auf den Verschluß hindeuten. Vorn am Felsen streicht Mauser mit der Stiefelspitze im Laub.
    Hier haben sie ihn erschossen, denkt er.
    Da bin ich mir sicher.
    Der Platz ist von der Straße aus nicht einzusehen, und von dem Talrand weiter oberhalb auch nicht. Kein Durchblick zum Dorf. Was hier vorgeht, entdeckt niemand.
    Müßte mit dem Suchgerät wiederkommen, denkt er.
    »Was bist du denn hier zugange, Mauser?« ruft es hinter ihm.
    Er dreht sich um und sieht Waiblinger durch den Wald heraufkommen.
    »Und du, Waiblinger?«
    »Ich habe das Gelände noch einmal observiert.«
    »Observiert. Ich auch.«
    »Und warum?«
    »Wegen der Lehmkammerhöhle. Wenn du eine Höhle verstehen willst, mußt du das umgebende Gestein kennen. Wir stehen hier genau über der Höhle, weißt.«
    Waiblinger bleibt schwer atmend neben Mauser stehen. Er schaut ihn von der Seite her an.
    »Ich glaube, es ist besser, ich weite die Absperrung auf das ganze Gelände aus.«
    »Warum?«
    »Es ist besser so. Wer weiß, ob wir hier oben nicht auch nach Spuren suchen. Wie du.«
    »Ich such nach keinen Spuren. Jedenfalls nicht von der Leiche.«
    Waiblinger zuckt die Schultern. Unten im Auto hat er das Absperrband. Sicherheitshalber hat er Eisenstäbe mitgenommen, an denen er das Band befestigen kann. Dazu ein paar Polizeisiegel, damit jeder weiß, daß
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