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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy
Autoren: Theodor Fontane
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ein beständiges Fahren war. Denn der Ort war nicht nur Eisenbahnstation, sondern von alter Zeit her auch Knotenpunkt vieler Straßen, die von hier aus strahlenförmig in die steirischen Vorberge hineinführten, ein entzückendes Hügelland, über das hinweg, sobald die Sonne zu sinken begann, das Hochgebirg in blauem Dämmer aufragte.
    Heute jedoch war der Abend noch fern, und beide Freundinnen saßen frühnachmittags in der Veranda, deren Glasfenster man ausgehoben hatte, weil es nach einer kurzen Regenzeit in den letzten Tagen wieder sehr warm geworden war. Auf einem hart an der Brüstung stehenden Tische lagen Muster, Decken und Wollknäuel umher, und die Tapisserienadel beider Damen, welche letzteren an einer großen Stickerei beschäftigt schienen, ging hurtig hin und her. Dabei war eine rechte Nachmittagsstille, nichts wach, und nur aus dem Garten kamen ein paar gelbe Schmetterlinge, haschten sich und flogen dann weiter die Straße hinunter. Franziska sah ihnen nach, bis sie schließlich über die Dächer hin verschwanden, und war noch in ihrem Sehen und Sinnen verloren, als vom Flur her ein reizender Blondkopf erschien, ein etwa zehnjähriges Mädchen, das an ihnen vorüber in Hast und Sturm auf die Straße zulief, einen Tonnenreifen vor sich, den es mit dem Handgriff eines allem Anscheine nach sehr eleganten Fächers schlug. An dem Reifen selbst waren kleine Blechstücke befestigt, und bei jedem Schlage gab es einen Klang, als ob ein Tambourin oder Kinderjanitschar geschüttelt würde.
    »Lysinka«, rief die Tragödin und lachte. »Sieh nur, Franziska, sie hat meinen besten Fächer genommen, ein Geschenk von Graf Pejevics von der letzten Redoute her. Ein wahres Prachtstück, ich meine den Fächer. Und nun hantiert der Unhold damit, als ob es ein Trommelstock wäre... Lysinka!«
    Aber die Kleine hörte nicht mehr, sondern jagte schon die chaussierte Straße weiter hinauf und auf das große, mit Oleanderbäumen umstellte Hotel zu, vor dem eben ein paar gelbe Reisewagen mit zurückgeschlagenem Verdeck hielten. Man sah ordentlich, wie das schwarze Leder in der Sonne brannte, während ein paar Hühner, die sich vom Hofe her eingefunden hatten, die Körner aufpickten, die zerstreut umherlagen. Hier machte Lysinka halt, sah sich inmitten der pickenden Hühner einen Augenblick um und jagte dann in geschickter Biegung, und die Veranda, wo Phemi und Franziska saßen, aufs neue passierend, nach der andern Seite hin die Straße hinunter.
    »Ein reizendes Kind!« sagte Franziska. »Du mußt es sehr lieben. Tust du?«
    »Gewiß tu ich's. Oder glaubst du, daß der hohe Stil der Tragödie dergleichen ausschließt? Auch Medea...«
    »Nichts von der. Ich will von Medea nichts wissen. Ich will nur wissen...«
    »Ein Geheimnis.«
    »Unter Schauspielerinnen gibt es keine Geheimnisse. Das solltest du wissen, Phemi. Zudem hab ich dir alles aus meinem Leben erzählt, Abenteuer und Nichtabenteuer.«
    »Nun gut; so rate.«
    »Gräflich? Hocharistokratie?«
    »Höher.«
    »Ah, ich seh schon, du willst dich auf einen Erzherzog hin ausspielen. Aber ehe ich dir das glaube...«
    Hannahs Erscheinen machte hier dem Gespräch ein Ende. Sie kam mit einem großen Tablett, das sie vorläufig auf die rechtwinklige Brüstung der Veranda setzte, legte dann sorglich ein Tuch und arrangierte den Kaffeetisch.
    »Und nun, Hannah, Juwel unserer Krone«, hob Phemi wieder an, »schaff uns auch etwas Krausgebackenes oder einen Napfkuchen oder, um auch in Öslau gut wienerisch zu bleiben, einen Gugelhupf. Denn du mußt wissen, ich habe heute den Lammbraten vorübergehen lassen – er hat immer so etwas Ungeborenes –, und so klingt es denn in den Tiefen meiner Seele: ›Was du vom Lamm zu Mittag ausgeschlagen, bringt nur der Gugelhupf zurück.‹ Oh, ein himmlisches Wort, bei dem ich ordentlich fühle, wie's hier mithupft. Und nun geh, Hanning, geh; ich habe ein drittes Haus von hier etwas appetitlich Braunes im Schaufenster stehen sehen, heute früh, als wir von der Promenade kamen, und die leere Straße sieht mir nicht darnach aus, als ob sich Öslau mittlerweile daran vergriffen haben könnte... Hier mein letzter Fünfguldenschein!«
    »Ach, Fräulein Phemi, wenn Sie nur nicht immer vergessen wollten, daß wir Krachzeiten haben.«
    »Unsereins hat nie Krach, Hannah. Übrigens wecke keine traurigen Gedanken in mir, denn schließlich und auf einem Umwege bin ich doch daran beteiligt. Und nun geh, ehe es zu spät ist. Wir leben zwar in einer gedankenarmen
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