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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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das Schiff gezerrt.«
    Ich wünschte inständig, Sie hätten es getan, wollte ich sagen, aber das wäre grausam gewesen. »Es tut mir leid«, sagte ich sinnloserweise.
    Er blickte mich einen Moment lang an, dann holte er Luft und zog sich den Mantel enger um die Schultern. »Ich geh mal wieder rein, seh nach, ob Rosalind fertig ist.«
    »Ich glaub, das dauert noch.«
    »Wahrscheinlich«, sagte er tonlos und trottete leicht gegen den Wind gebeugt mit wehendem Mantel die Treppe hoch ins Gerichtsgebäude.

    Die Geschworenen befanden Damien für schuldig. Angesichts der Beweislage blieb ihnen auch kaum etwas anderes übrig. Es gab diverse komplizierte juristische Streitereien über die Zulässigkeit von Beweismitteln, und Psychiater hatten schwerverständliche Gutachten zu Damiens Psyche abgegeben. (Das alles erfuhr ich aus dritter Hand, aus Gesprächsfetzen, die ich aufschnappte, oder über endlose Telefonate mit Quigley, der es sich anscheinend zur Lebensaufgabe gemacht hatte herauszufinden, warum ich zum Schreibtischdienst in der Harcourt Street verdonnert worden war.) Aber wir hatten ein vollständiges Geständnis und, was vielleicht noch wichtiger war, wir hatten Obduktionsfotos eines toten Kindes. Damien wurde wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt, was in der Praxis irgendetwas zwischen sieben und fünfzehn Jahren bedeutet.
    Ich glaube kaum, dass ihm das bewusst war, aber die Kelle rettete ihm womöglich das Leben und ersparte ihm auf jeden Fall etliche unappetitliche Gefängniserfahrungen. Wegen der sexuellen Schändung von Katy galt er als Sexualtäter und wurde in einem gesonderten Trakt für Pädophile und Vergewaltiger und dergleichen untergebracht. Es war für ihn sicherlich ein zweifelhaftes Vergnügen, aber es erhöhte zumindest seine Chancen, lebend und ohne irgendwelche ansteckenden Krankheiten aus dem Gefängnis zu kommen.
    Nach der Urteilsverkündung wartete ein kleinerer Lynchmob, vielleicht ein paar Dutzend Leute, vor dem Gerichtsgebäude auf ihn. Ich sah mir die Nachrichten in einem schmuddeligen kleinen Pub am Hafen an, und als auf dem Bildschirm gleichmütige Polizisten in Uniform einen stolpernden Damien durch die Menge führten und der Polizeibus unter einem Hagel von Fäusten, heiseren Rufen und vereinzelten Steinwürfen davonfuhr, brachten die Stammgäste in der Kneipe ihren Beifall durch gefährliches Grölen zum Ausdruck. »Der gehört aufgehängt«, murmelte jemand in einer Ecke. Mir war klar, dass ich für Damien Mitleid empfinden müsste, dass er von dem Moment an geliefert war, als er auf der Demo zu dem Unterschriftentisch ging, und dass gerade ich in der Lage sein müsste, dafür ein wenig Mitgefühl aufzubringen, aber ich konnte nicht; ich konnte es nicht.

    Mir steht wirklich nicht der Sinn danach, im Einzelnen darauf einzugehen, was meine »Suspendierung bis zur Klärung der Sachlage« in der Praxis bedeutete: die gereizten, endlosen Anhörungen, die diversen strengen Vorgesetzten in akkurat gebügelten Anzügen und Uniformen, die unbeholfenen demütigenden Erklärungen und Rechtfertigungen, das unangenehme verdrehte Gefühl, beim Verhör auf der falschen Seite zu sitzen. Zu meiner Überraschung entpuppte sich O'Kelly als mein heftigster Verteidiger. Er hielt leidenschaftliche Vorträge über meine Erfolgsrate und meine Vernehmungstechnik und alle möglichen Dinge, die er nie zuvor erwähnt hatte. Ich wusste zwar, dass das wohl kaum auf eine unvermutete Sympathie für mich zurückzuführen war, sondern auf reinen Selbstschutz – mein Fehlverhalten warf ein schlechtes Licht auf ihn, er musste erklären, wieso er einen Renegaten wie mich so lange in seinem Dezernat geduldet hatte –, aber ich war jämmerlich, fast weinerlich dankbar: Er schien der einzige Verbündete zu sein, der mir geblieben war. Einmal wollte ich mich sogar bei ihm bedanken, auf dem Flur nach einer von diesen Sitzungen, aber ich brachte nur ein paar Worte über die Lippen, weil er mich gleich derart angewidert musterte, dass ich ins Stammeln geriet und den Rückzug antrat.
    Schließlich beschlossen meine Vorgesetzten, mich nicht rauszuschmeißen oder gar – was weitaus schlimmer gewesen wäre – mich wieder in Uniform zu stecken. Aber auch das verdanke ich nicht der Tatsache, dass sie meinten, ich hätte eine zweite Chance verdient; nein, sie befürchteten lediglich, meine Entlassung könnte irgendeinen Journalisten stutzig machen und alle möglichen unangenehmen Fragen nach sich ziehen. Natürlich
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